Feuer, Wasser - Grundgesetz

Im brandenburgischen Lehnin übten Militär und Polizei gemeinsame Einsätze gegen Terror und Naturgewalten

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Alles begann mit einer Katastrophe. In der Operationszentrale der Berliner Julius-Leber-Kaserne, wo das Kommando Territoriale Aufgaben der Bundeswehr untergebracht ist, koordinierte man die Unterstützung ziviler Kräfte bei einer sogenannten bundesweiten Starkregenlage. Man kennt die Folgen: Nicht enden wollender Regen, verbunden mit Stürmen führen zu Hochwasser. Die Folge: Deichbrüche, überflutete Ortschaften ...

Genau das gab auch das Szenario der Übung »Standhafter Bär« am Dienstag vor. Die Bundeswehr muss Amts- und Katastrophenhilfe leisten. 400 Bundeswehrsoldaten in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt sowie aus Thüringen trainierten am Dienstag das Zusammenwirken mit zivilen Kräften.

Wieso ist Terror ein Unglücksfall?

(2) Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte. Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern.

(3) Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. Grundgesetz, Artikel 35

Ein Unglück zieht das andere nach sich, sagt die angebliche Weisheit des Volkes. Übungshalber stürzte also in Frankfurt an der Oder ein Sportflugzeug in ein Wohngebiet. Tote und Verletzte waren zu befürchten. Wenig später entgleiste bei Seddin ein Zug. Der Sturm trug seine giftige Chlorgasladung weit ins Land. Kann man sich mehr einfallen lassen, um Horrorvorstellungen zu erzeugen?

Ja! Nach einer halben Stunde Hubschrauberflug waren die zur Übung geladenen Gäste mittendrin in der schlimmsten Terrorlage, die Europa je gesehen hat. Auf dem Truppenübungsplatz Lehnin lief eine zweite, von der Brandenburger Polizei initiierte Übung namens BBTEX. Diese »Brandenburg Terrorabwehr Exercise« wurde mit dem »Standhaften Bär« verbunden. Wer genau auf diesen Gedanken kam, alles mit allem und damit Militär sowie Polizei miteinander zu verweben, konnten weder die Verantwortlichen der Bundeswehr noch die der zuständigen Innenbehörde Brandenburgs vernünftig erklären.

»Man muss auf alle Situationen vorbereitet sein«, antwortete Brandenburgs Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke auf nd-Nachfrage und skizzierte das weitere - angenommene - Geschehen: Bundesweit hätten Terroristen die Katastrophenlage ausgenutzt und losgeschlagen. Es müssen Hunderte sein, denn die Polizei, eingebunden in zahlreiche Einsätze zur Eindämmung der Unglücks- und Hochwasserbekämpfung, sei völlig am Ende. Nicht nur die in Brandenburg. Die Nachbarländer sahen sich außerstande, die von Potsdam erbetene Verstärkung zu schicken. Auch die 43 000 Beamte starke, auf Terrorbekämpfung trainierte Bundespolizei war am Limit.

Es musste (fiktiv) wirklich schlimm um das Schicksal der Republik bestellt sein, denn die Bundesregierung zog sich in ihr Gästehaus in Meseberg zurück. Da auch das in Brandenburg liegt, musste die Polizei weitere Kräfte zur Sicherung des Schlosses aufbieten. In dieser Situation gab es nur einen Ausweg: Die Bundeswehr muss ran. In Lehnin wurde gezeigt, wie.

Soldaten des Berliner Wachbataillons übernahmen die Sicherung der Regierung, was rechtlich eigentlich nur im Kriegs- oder Spannungsfall zulässig ist. Sie bauten - unter Führung der Polizei - eine Straßensperre auf. Als dann die angenommenen Terroristen in Oranienburg einen Selbstmordanschlag verübten und in der Sparkasse sowie der Post von Gransee Geiseln nahmen, verschmolzen Polizei und Militär miteinander, und zwar nicht nur optisch. Im lauten Getöse von Explosionen transportierten Fuchs-Panzer der Bundeswehr Angehörige des Brandenburger Spezialeinsatzkommandos bis vor die Tür der besetzten Gebäude. Von hinten drangen SEK-Kollegen mit Hilfe ihres neuesten, 1,4 Millionen Euro teuren »Survivor«-Panzerfahrzeugs ein. Augenblicke später preschten Soldaten mit Boxer-Panzern heran, um Verwundete zu übernehmen.

Den Verantwortlichen bei Bundeswehr wie Polizei war klar, dass sie sich mit diesen Handlungen an einer vom Grundgesetz gebotenen Grenze bewegen. Ob noch diesseits oder schon jenseits, ist strittig. Und so betonte der für territoriale Aufgaben zuständige Generalmajor Carsten Breuer mehrfach mit Verweis auf den Grundgesetzartikel 35 die Formel: »Polizei schützt, Bundeswehr unterstützt.« Polizeipräsident Mörke, der auf die Anschläge in Paris und Nizza sowie den in Berlin 2016 verwies, versicherte gegenüber »nd« gefühlt drei Dutzend Mal, er kenne und beherzige den Verfassungsvorbehalt, der das Militär von hoheitlichen Aufgaben fernhalten soll. Doch wenn die demokratische Grundordnung gefährdet sei, müsse man alle Möglichkeiten zum Schutz der Bürger nutzen.

Das klingt nach Notstand. Doch weder der Polizeipräsident noch die Bundeswehr haben sich mit einer Silbe auf die 1968 beschlossenen Notstandsgesetze berufen, laut denen »zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes« neben der Polizei auch »Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen« angefordert werden können.

Es ist jetzt knapp drei Jahre her, dass Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) beim Amoklauf eines Jugendlichen in München Feldjäger und Sanitäter alarmieren ließ - und deshalb harsche Kritik wegen verbotener Einmischung in innere Angelegenheiten einstecken musste. Wie nachhaltig Probleme sind, die nicht aufgearbeitet werden, zeigte sich nun im noch rot-rot regierten Brandenburg.

Die Landesregierung hatte übrigens zu der als extrem wichtig bezeichneten BBTEX-Übung nur Innenstaatssekretärin Katrin Lange (SPD) abgestellt. Ihr Chef und Parteikollege Karl-Heinz Schröter war unabkömmlich, denn: Es brennt in Brandenburg tatsächlich. In diesem Jahr gab es bereits rund 140 Waldbrände. Der Rauch zieht gerade bis in die Hauptstadt.

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