Tumult im Roten Rathaus

Vor 40 Jahren wurden neun Berliner Mitglieder aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Seit dem November 1976 kam die DDR nicht mehr zur Ruhe, der Anfang vom Ende des Staates begann. Die Mächtigen im Lande hatten den Kontakt zur normalen Bevölkerung verloren, sie lebten in einer milieugestützten Meinungsblase ohne Selbstkritik. Die Biermann-Ausbürgerung provozierte dann jedoch einen von der SED-Spitze in dieser Heftigkeit nicht erwarteten Protest von Künstlern und Intellektuellen - fortan verlief ein tiefer Graben zwischen Macht und Geist im Land. Mit der Auslagerung des inneren Widerspruchs namens Wolf Biermann gen Westen hatte sich die SED-Führung vor aller Welt endgültig ins Unrecht gesetzt.

Die führenden Genossen im Politbüro lebten in ihrer eigenen Parallelwelt. Insofern war das DDR-Politbüro so etwas wie die erste Community im Sinne der heutigen sogenannten sozialen Medien, in deren Innern oft eine sektenhafte Homogenität der Meinungen herrscht. Alles, was außerhalb der eigenen Welt-Blase liegt, ist Feindesland. Ein Gespräch mit anderen, die anders denken, findet nicht mehr statt. Der Umgang der DDR-Spitze nach 1976 mit der inneren Opposition kann als Modell dafür gelten, wie die Macht verödet, wenn sie sich nicht mehr einer ständigen Infragestellung aussetzt. Ein Untergangsszenario.

Am 7. Juni 1979 wurden neun Mitglieder aus dem Berliner Bezirksverband der DDR-Schriftsteller ausgeschlossen. Dem waren bereits andere schicksalhafte Ereignisse vorausgegangen. Auch sie Biermannfolgen, wie die Abstrafung der Erstunterzeichner gegen die Ausbürgerung. Diese erfolgte nach allen scholastischen Regeln stalinistischer Machtausübung. Gerhard Wolf etwa erhielt die Höchststrafe: Ausschluss aus der Partei. Als SED-Mitglieder gestrichen wurden Jurek Becker, Sarah Kirsch und Günter Kunert. Christa Wolf und Stephan Hermlin erhielten eine strenge Rüge, Volker Braun kam mit einer einfachen Rüge davon und so weiter. Eigentlich lachhaft, wenn man denn nicht weinte - aber die innere Anteilnahme an den Kapriolen einer immer ohnmächtiger werdenden Macht im Lande schwand rapide. Der Exodus von Künstlern und Schriftstellern begann - und hörte bis 1989 nicht mehr auf.

Und dennoch ist der Ausschluss von neun Schriftstellern heute vor vierzig Jahren ein besonderes Datum. Denn hier scheiterte die SED-Abstrafungsregie erstmals fast am offenen Widerspruch.

Den Anstoß hatte wieder einmal der unerschrockene Stefan Heym gegeben, der sich mit psychologischer Kriegsführung auskannte. Im Westen (bei Bertelsmann) erschien 1979 sein Roman »Collin«, ein immer noch erhellendes Buch über die Staatssicherheit und die Neurosen derer, die einen Staat regierten, als stünden sie noch im Untergrundkampf - also nach allen Regeln der Konspiration. Ein Schlag ins Gesicht von Erich Mielke, dessen Staat im Staate bloßstellend.

Was tun?, fragten sich die verunsicherten Hüter der Dogmen, die sich keiner offenen Auseinandersetzung mit einem wie Heym gewachsen fühlten. Wenn man den Schriftsteller beschuldigte, er habe das Buch heimlich im Westen herausgebracht, dann musste man gleichzeitig eingestehen, dass er gar keine andere Möglichkeit gehabt hatte, es herauszubringen, denn in der DDR wäre es verboten worden. Ein solches Zensureingeständnis aber wollte man umgehen. Also kam man auf die Idee, Heym wegen eines Devisenvergehens anzuklagen. Davon versprach man sich Solidarisierungseffekte, spekulierte also auf den Neid der Bevölkerung. So ein privilegierter Künstler verdient im Westen D-Mark und macht dann auch noch die DDR schlecht, pfui!

Aber das funktionierte nicht. Die Leute nahmen es dem Staat vielmehr übel, dass er ihnen solche brisanten Bücher gouvernantenhaft vorenthielt. Dennoch schritt der Zoll der DDR gegen Heym wegen Devisenvergehens zur Tat: Sein Sparbuch wird am 10. April 1979 beschlagnahmt, im offiziellen Amtsdeutsch wird dies ein »vollzogener Arrestbefehl zur Sicherung zu erwartender Ansprüche« genannt. Heym schreibt in seiner Autobiografie »Nachruf«: »So also ist das gedacht: der Schriftsteller S. H., dessen Bücher, eins wie das andere, moralische Entscheidungen verlangen, soll moralisch vernichtet werden.«

Schließlich wird Heym zu einer Geldstrafe von 9000 Mark wegen Devisenvergehens verurteilt. Aber man merkt schnell, dass - gemessen am Werbeeffekt - der Abschreckungseffekt des Urteils gering ist, und ändert die Gesetzesgrundlage: Ab jetzt soll jeder, der ohne offizielle Genehmigung im Westen veröffentlicht, mit Zuchthaus von bis zu fünf Jahren bestraft werden. Es regt sich Widerstand, man beruft sich auf die von der DDR unterzeichnete Schlussakte von Helsinki. Die Wortführer unter den Berliner Autoren, Kurt Bartsch, Adolf Endler, Stefan Heym, Karl-Heinz Jakobs, Klaus Poche, Klaus Schlesinger, Rolf Schneider, Dieter Schubert und Joachim Seyppel, sollen aus dem Verband ausgeschlossen werden.

Doch die Einschüchterung funktioniert nicht mehr, trotz begleitender Propaganda von Autoren, die nicht darauf hoffen können, im Westen veröffentlicht zu werden, wie Dieter Noll, der sich im »Neuen Deutschland« der Macht mit den Worten anempfiehlt: »Einige wenige kaputte Typen wie Heym, Seyppel oder Schneider, die da so emsig mit dem Klassenfeind kooperieren, um sich billige Geltung zu verschaffen, weil sie offenbar unfähig sind, auf kons᠆truktive Weise Resonanz und Echo bei unseren arbeitenden Menschen zu finden, repräsentieren gewiss nicht die Schriftsteller unserer Republik.«

Das ist noch die Frage, wie sich im Showdown des geplanten Ausschlusses zeigt. Immerhin stimmen 60 (!) der im Roten Rathaus versammelten Berliner Autoren gegen einen Ausschluss. Es gibt tumultartige Szenen. Die Ausschlusskandidaten äußern sich selbstbewusst, geradezu sarkastisch wie Klaus Poche: »Wenn sich Menschen ändern, wird man nicht gleich sagen, sie werden falsch, sie werden Feinde. Man muss seine eigene Position überprüfen, muss fragen, was die Menschen dazu veranlasst hat, diesen und keinen anderen Weg zu sehen. Wir sind in diesem Land alt geworden, man möge uns bitte mit der lehrerhaften Frage verschonen, die einem Katechismus-Denken entspricht ...«

Stephan Hermlin schafft es, dem Ganzen die Krone aufzusetzen, in dem er eine vornehme Rede über grassierende Unvornehmheiten hält: »Ich weiß, dass ich da zu manchen rede wie zu einer Wand, das sind jene, die Verluste nicht hoch achten, die sich manchmal, einige, vielleicht erhoffen, weil sie naive Erwartungen haben, ihre eigene Geltung würde vermehrt, wenn andere nichts mehr gelten.« Selbstverständlich sei er gegen einen Ausschluss der Mitglieder, und jetzt gehe er nach Hause.

Der Ausschluss wird dennoch forderungsgemäß durchgepeitscht. Es ist der letzte Sieg der Macht über den Geist - ein Pyrrhussieg.

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