- Berlin
- Müggelturm
Verbeugung vor dem Denkmal
Wie sich der Architekt Siegfried Wagner den Müggelturm barrierefrei vorstellt.
Wenn es um »seinen« Müggelturm geht, dann lässt Siegfried Wagner nicht mit sich spaßen. Als der heutige Eigentümer des berühmten Köpenicker Wahrzeichens, der Unternehmer Matthias Große, im Frühjahr ankündigte, er wolle einen Zwillingsturm neben das Original bauen, muss der 87-Jährige sich regelrecht veräppelt gefühlt haben. Wagner hat dieses Bauwerk mitentworfen, er wollte wenigstens gefragt werden, denn hier ging es um Fragen des Urheber- und Denkmalrechts.
Für Siegfried Wagner markiert der Müggelturm den Beginn seines erfolgreichen Berufslebens als Architekt in der DDR. Den Entwurf hat er 1959 gemeinsam mit Jörg Streitparth und Klaus Weißhaupt, damals Mitstudenten an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee, als Beitrag zu einem Ideenwettbewerb eingereicht. Damals ging es darum, den hölzernen Müggelturm zu ersetzen, der 1958 abgebrannt war. 35 Mitbewerber hatte die Kommilitonen ausgestochen. Seine beiden Kollegen und Freunde sind verstorben, er fühlt sich ihrem Andenken verpflichtet. »Als letzter Autor muss ich darauf bestehen, dass der Turm als Denkmal bestehen bleibt«, sagte er dem »nd«.
- Den ersten Turm auf dem Kleinen Müggelberg ließ 1880 der Wäschereibesitzer Carl Spindler bauen. Er war zehn Meter hoch.
- 1889/1890 wurde der Turm im Pagodenstil umgebaut. Nun 27 Meter hoch und mit Restaurant wurde er beliebtes Ausflugsziel.
- Seit 1928 führen zwei Treppenanlagen zum Kleinen Müggelberg hinauf – 111 Stufen vom Teufelssee, 243 vom Dahme-Ufer aus.
- Nach dem Zweiten Weltkrieg betrieb ab 1953 die »HO Köpenick« die Müggelturmgastronomie.
- Am 19. Mai 1958 brannte der hölzerne Turm vollständig ab.
- Der Siegerentwurf des von der »Berliner Zeitung« 1958 initiierten Ideenwettbewerb bildete die Grundlage für den Neubau.
- Nach der Grundsteinlegung am 6. Oktober 1959 leisteten Berliner 3700 freiwillige Arbeitsstunden im Nationalen Aufbauwerk, spendeten 130 000 DDR-Mark. Am 31. Dezember 1961 war Eröffnung.
- Der Turm misst 29,61 Meter, hat neun Geschosse mit Panoramafenstern. Zur Aussichtsplattform führen 126 Stufen. Pro Jahr kamen noch in den 1980ern bis zu 240 000 Besucher. Restaurant, Weinstube und Sonnenterrassen schlossen nach der Wende.
- Seit 1995 steht die Anlage unter Denkmalschutz, 1996 wurde der Turm mit EU-Förderung saniert.
- Nach jahrelangem Verfall in der Hand wechselnder Eigentümer, erwarb der Köpenicker Unternehmer Matthias Große im Mai 2014 die Anlage, sanierte sie, baute das Gastronomieensemble neu auf. Am 1. Mai 2018 wurde Wiedereröffnung gefeiert. tm
Der Siegerentwurf des »Müggelturmkollektivs der Bauunion Berlin« hatte die Fachjury und auch die Berliner begeistert. Nur passte dessen ovaler Grundriss nicht zur offiziellen Vorstellung von moderner Architektur. »Die damals zur Begründung vorgebrachten bautechnischen und Kostengründe jedenfalls waren nur vorgeschoben«, so Wagner. Als Folge erhielt der überarbeitete Entwurf rechte Winkel und glatte Flächen. Doch selbst mit dieser »Kastenform«, wie er das nennt, gilt der 29,61 Meter hohe Stahlbeton-Turm als Frühwerk der sozialistischen Moderne in der DDR-Architektur, steht seit 1995 unter Denkmalschutz.
Matthias Große hat das fast 20 Jahre lang vernachlässigte Müggelturm-Ensemble vor Verfall und drohendem Abriss bewahrt, es mit persönlichen Engagement und hohem Finanzaufwand wiederhergestellt. Nach der Wiedereröffnung 2018 will er nun sicherstellen, dass die gesamte Anlage künftig für jedermann uneingeschränkt zugänglich ist. Auch für die vielen Älteren und Gebrechlichen, die ohne Hilfe die Aussichtsetage nicht erreichen können. Doch ausgerechnet beim Turm, der nur über einen Treppenaufgang mit 126 Stufen begehbar ist, legte die Untere Denkmalbehörde ihr Veto ein: Kein Ein- oder Anbau eines Aufzugs. Große blieb die Antwort nicht schuldig: »Zur Schaffung eines barrierefreien Zugangs zum Müggelturm planen wir die Umsetzung eines Zwillingsturms mit integriertem Fahrstuhl«, heißt es auf der Homepage seiner Betreibergesellschaft UMG. Er will die Berliner zu seinem Projekt befragen, bevor er seine Pläne im Bezirksamt Treptow-Köpenick einreicht. Laut UMG-Sprecherin Kerstin Jennes haben bisher 5000 Unterstützer eine entsprechende Petition unterschrieben.
Mit seiner harschen Kritik hatte Siegfried Wagner bei Matthias Große auf Granit gebissen. So war er schließlich selbst bei einem Informationsabend der UMG in der »Müggelturm-Baude« erschienen und hatte dort hitzig mit Große gestritten. Am Ende fanden beide Kontrahenten, dass nach heutigen Maßstäben die Forderung nach Barrierefreiheit berechtigt ist, der Charakter des Denkmals aber gewahrt werden muss. Eigentümer und Architekt reichten sich die Hände. Wagner sagte einen Gegenentwurf zu.
Anfang März schrieb er an Matthias Große: »Nach der stürmischen aber auch sachlichen Diskussion am 28.2.2019 im Müggelturm möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich Ihrem Vorschlag, den ovalen Turm (1. Preis von 1961) mit integriertem Aufzug und Fluchtweg zu bauen, zustimme.« Eine beigefügte Skizze zeigt statt des identischen Zwillingsturms, wie ihn der UMG-Entwurf vorsieht, einen gläsernen Aufzug neben dem Müggelturm. Wichtig sei ihm bei der Gestaltung dessen kontrastierende Form und Materialität.
In der DDR war Siegfried Wagner, der als Student bei Hermann Henselmann und Selman Selmanagić lernte, ein anerkannter Stadtentwickler. In den 1960er als Stadtarchitekt die sozialistische Umgestaltung von Hoyerswerda. In Berlin tragen das Haus des Lehrers und die Kongresshalle am Alexanderplatz auch seine Handschrift, er wirkte am Palast der Republik und am Charité-Neubau mit. Jetzt, mit 87 Jahren, will er es auch beim Müggelturm noch einmal wissen: Gemeinsam mit seinem Sohn Thomas (56), einem Produktdesigner, und seinem Enkel Brian (34), der an der Beuth-Hochschule seinen Master of Science macht, entwickelte er sein Projekt weiter. Nun stellt er sich mit einer professionellen Computersimulation dem Urteil der »nd«-Leser, ja aller Berliner. Wie sich zeigt, soll künftig ein schlanker, gläserner Aufzug Müggelturm-Besucher zur Aussichtsplattform bringen. Die technische Machbarkeit hat er sich von namhaften Lift-Herstellern zusichern lassen, selbst die Kosten sollen sich im Rahmen halten. »Mir ist vor allem die ovale Form wichtig, die unseren ursprünglichen Siegerentwurf aufgreift«, betont er.
Im zuständigen Bauamt liege kein Antrag von Matthias Große vor, den man prüfen könnte. »Jegliche Information über diese Überlegung des Eigentümers konnte das Bezirksamt nur aus der Presse entnehmen«, teilte eine Sprecherin dem »nd« mit.
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