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In Niedersachsen wird es »KonterBunt«

Bildungszentrale hilft mit App beim Reagieren auch auf Stammtischparolen zu Flüchtlingen, Schwulen und Frauen

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

»Und sowas dürfen sich heute die Kinder auf der Straße angucken - kein Wunder, wenn die das für normal halten und dann selbst schwul oder lesbisch werden!« So schimpft Opa in der familiären Kaffeerunde, als im Fernsehen bunte Bilder vom Christopher Street Day gezeigt werden. »Passt mal auf, dass Euer Junge nicht auch so wird - wenn ich schon die langen Haare bei ihm sehe«, »appelliert« der Senior an Tochter und Schwiegersohn. Der 13-jährige Enkel möchte Opa Paroli bieten, befürchtet aber, nicht die richtigen Worte zu finden. In solch einer Situation hilft die kostenlose App »KonterBunt«, die Niedersachsens Landeszentrale für politische Bildung jetzt für die mobilen Betriebssysteme Android und iOS aktiviert hat.

Der Junge, dessen Opa in langen Haaren drohendes Schwulsein wittert, hätte auf seinem Smartphone in jener App das »Parolenverzeichnis« antippen können und unter dem Stichwort »Trans- und Homofeindlichkeit« auch die großväterliche Ansicht gefunden: »Kinder werden verschwult.« Um Opa Kontra zu geben, liest der Junge nach dem Aufruf dieser »Parole« nun unter anderem als Gegenargument, dass es unmöglich ist, Homo- oder Heterosexualität anzuerziehen. Und er erfährt, dass eine Erziehung mit strikten Rollenbilder - wie zum Beispiel kurze Haare bei Jungen - die Individualität des Kindes oder Jugendlichen einschränkt. »Wenn Kinder dagegen lernen, dass sie das Recht und die Freiheit haben, ihre Identität zu entwickeln, werden sie nicht ‚verschwult‘«, klärt »KontraBunt« auf.

So wie dumme Sprüche zur sexuellen Orientierung hat die App auch viele Stammtischparolen gegen Asylbewerber, Juden, Behinderte, sozial Benachteilige, Menschen mit anderer Hautfarbe sowie Sinti und Roma erfasst. Treffliche »Konter« auf frauenfeindlichen Unfug - »Die gehören an den Herd« oder »Mädchen können kein Mathe« zum Beispiel - hält das Angebot aus Niedersachsen ebenfalls bereit.

»Vorurteile und menschenverachtende Aussagen stehen einem demokratischen Miteinander entgegen«, betonte Ulrike Engler, Direktorin der Landeszentrale für Politische Bildung, bei der Vorstellung der App. Diese könne Menschen dazu ermutigen, sich aktiv einzubringen und für Demokratie einzuschreiten. »KonterBunt« setze auf eine spielerische Auseinandersetzung mit Vorurteilen, so Engler.

Deshalb beschränkt sich die App nicht auf Parolen und Gegenargumente, sondern bietet seinen Nutzern auch ein Strategie-Training: Bei der Fahrt durch eine Stadt werden die Teilnehmer mit allerlei Sprüchen konfrontiert und können dann unter mehreren Reaktionen wählen. Zum Beispiel beim Passieren eines Spielplatzes, wo sich eine Frau über den Lärm der Kinder mit der Feststellung beklagt: »So was hätte es früher nicht gegeben!« Was hält man ihr entgegen? Reagiert der App-Nutzer zu heftig, macht ihm »KonterBunt« einen Alternativvorschlag.

Des Weiteren enthält die App, die sich wohl vor allem - aber nicht nur - an junge Menschen wendet, einen »Strategieguide« mit vielen beim Argumentieren bewährten Ratschlägen. Entwickelt wurden sie von Professor Klaus-Peter Hufer.

Hufer ist Experte für Argumentationstrainings und beschäftigt sich in seinen Büchern seit Jahren mit dem Problem. »Stammtischparolen grenzen aus und sind oft voller Hass. Vom Spruch zur Tat sind die Übergänge fließend. Deswegen sollte widersprochen werden«, rät der Fachmann.

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