Spekulation abwickeln

Fast 80 0000 Unterstützerunterschriften für Enteignungs-Volksbegehren übergeben.

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

Wir werden ein paar Wochen brauchen, um uns zu erholen«, sagt Rouzbeh Taheri vom Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Denn nun, nachdem die Aktivisten am Freitagmittag ihre Unterschriftenbögen bei der Innenverwaltung abgegeben haben, wird für mindestens zwei Wochen erst mal nichts passieren.

Die Behörde muss ermitteln, wie viele der 77 001 abgegebenen Unterschriften gültig sind. In nicht einmal zweieinhalb Monaten sind diese zusammengekommen. Startschuss war die große Mietenwahnsinn-Demo am 6. April. Mindestens 20 000 gültige Unterschriften müssen es für die erste Stufe des Volksbegehrens sein. Nachdem nun fast das Vierfache eingesammelt worden ist, muss den Aktivisten also nicht bange sein.

Taheri fährt erst mal mit seiner Familie in den Urlaub. Das Medieninteresse hatte sich in den letzten Monaten hauptsächlich auf ihn konzentriert. Er war in Talkshows, gab Fernsehsendern und Zeitungsjournalisten aus der ganzen Welt Interviews.

Was die Kampagne von »Deutsche Wohnen & Co enteignen« auf jeden Fall erreicht hat, ist, eine intensive Debatte zu entfachen. Gefühlt hat sich nur der Papst nicht zu dem Thema geäußert. Der Bundesvorsitzende der Jusos, Kevin Kühnert, äußerte sich prinzipiell positiv. Auch Grünen-Chef Robert Habeck ist aufgeschlossen gegenüber Enteignungen. Allerdings, und das wurde tendenziell unterschlagen, geht es ihm dabei um Baugrundstücke in Städten mit Wohnungsmangel, die von Eigentümern brach gelassen werden.

An vorderster Front der politischen Unterstützer steht die Linkspartei. Bereits im Dezember 2018 hatte der Berliner Landesverband bei seinem Parteitag die Unterstützung des Volksbegehrens beschlossen. Auch die LINKE-Bundesvorsitzende Katja Kipping äußerte sich positiv. »Explodierende Mieten sind faktisch eine Enteignung der Mitte«, begründete sie in der ARD. Die Partei hat auch kräftig Unterschriften mitgesammelt. Über 10 000 Stück übergab sie Ende Mai der Initiative.

»Die Idee für ein Enteignungs-Volksbegehren kam aus verschiedenen Richtungen. Grundsätzlich gab es sie schon länger, materialisiert hatte sie sich Ende 2017«, sagt Taheri. Öffentlich machte die Initiative ihr Vorhaben im April 2018. Dabei ist »Enteignung« nicht ganz das richtige Wort, die Initiative fordert eigentlich eine Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen auf Basis von Artikel 15 des Grundgesetzes.

Renditeorientierte Privatunternehmen mit einem Bestand von über 3000 Wohnungen sollen demnach gegen Entschädigung in Gemeineigentum überführt werden. Laut einer aktuellen Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung wären davon ein Dutzend Unternehmen in der Hauptstadt betroffen. An erster Stelle steht dabei Berlins größter Vermieter, die Deutsche Wohnen, mit rund 112 000 Wohnungen an der Spree. Auf Platz zwei liegt vonovia, der bundesweit größte Immobilienkonzern, der in Berlin fast 42 000 Wohnungen hat. Wahrscheinlich gibt es sogar mehr als das Dutzend Firmen mit Beständen über 3000 Wohnungen, denn sonderlich transparent sind die Eigentumsverhältnisse oft nicht.

»Das gesamte Vorhaben gefällt mir nicht«, sagt Iris Spranger, Wohnungsmarktexpertin der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus über die Sozialisierung von Immobilienkonzernen. »Ich denke, der Mietendeckel ist die Antwort auf Enteignen«, erklärt sie. Tatsächlich hatte der Berliner Mietendeckel, nach dem ab 2020 die Mieten in der Hauptstadt zunächst für fünf Jahre eingefroren werden sollen, dem Wunsch nach Enteignungen in den letzten Tagen die Schau gestohlen. Beim SPD-Landesparteitag Anfang April sind Ablehnungs-Anträge gegen das Volksbegehren allerdings nicht durchgekommen. Und das, obwohl der SPD-Landesvorsitzende und Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) sich mehrfach gegen Enteignung geäußert und die Partei offiziell keine Meinung dazu hat.

»Es ist doch gut, wenn unsere Initiative die Politik dazu gebracht hat, weiter als bisher über Maßnahmen nachzudenken«, sagt Taheri zum Mietendeckel. Dieser sei allerdings »ein temporäres Instrument und wird das Problem nicht grundsätzlich lösen«. Für die Wohnungspolitikerin Gaby Gottwald von der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus sind Mietendeckel und Enteignung kein Widerspruch. »Erst deckeln, dann enteignen!«, lautet ihre Devise. Dies verringere dann auch die zu leistende Entschädigung. Überhaupt, die Entschädigung: Die Kostenschätzung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung für die Sozialisierung von etwa 243 000 Wohnungen liegt bei bis zu 36 Milliarden Euro. Die Initiative kommt auf deutlich geringere Summen und rechnet vor, dass sich die Mieten sogar senken ließen und trotzdem die Entschädigung aus laufenden Mieteinnahmen zu leisten wäre. »Die offizielle Kostenschätzung wird der Senat noch einmal neu berechnen müssen«, sagt Taheri.

Die vielen Unterstützerunterschriften würden »Auftrieb geben und für Rückhalt sorgen, den man für das weitere Prozedere braucht«, sagt Gottwald. »Wenn man sich anschaut, wie heftig aktuell die Abwehrreaktionen gegen den Mietendeckel im Vorfeld des Senatsbeschlusses sind, bekommt man eine Ahnung davon, worauf man sich beim Volksentscheid einstellen muss. Sie werden um sich schlagen«, so die LINKE-Politikerin.

Erst kürzlich wandten sich die Berliner Wirtschaftsverbände in einem Offenen Brief an die Landespolitik gegen Enteignungen. Laut einer Umfrage der Berliner Industrie- und Handelskammer ist aber immerhin ein Fünftel der Unternehmer für die Sozialisierung. Eine repräsentative Civey-Umfrage im Auftrag des »Tagesspiegels« ergab im Januar eine Mehrheit der Berliner dafür, laut einer repräsentativen Umfrage von infratest dimap vom Mai im Auftrag des rbb sind 59 Prozent der Berliner dagegen und nur 36 Prozent dafür. Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW sprach im April in der »Immobilien Zeitung« davon, »dass in Berlin gut organisierte Kräfte am Werk sind, die einen Systemwechsel hin zum Sozialismus wollen«. »Die große Unterstützung ist ein deutliches Signal an Rot-Rot-Grün, sich mit der Initiative jetzt an einen Tisch zu setzen, um gemeinsam ein Gesetz zu erarbeiten«, sagt hingegen Grünen-Wohnungspolitikerin Katrin Schmidberger.

Nach nd-Informationen will die von Innensenator Andreas Geisel (SPD) geführte Verwaltung, die federführend für die Prüfung des Begehrens zuständig ist, das Anliegen vom Verfassungsgericht prüfen lassen. »Erst mal werden die Unterschriften geprüft«, erklärt ein Sprecher der Innenverwaltung abwiegelnd. Die Stadtentwicklungsverwaltung unter Senatorin Katrin Lompscher (LINKE) verweist darauf, dass man bereits drei Gutachten habe anfertigen lassen, die das Vorhaben als verfassungsgemäß ansehen. Sie sind auf der Homepage für alle einsehbar. »Die SPD darf das Verfahren nicht ausbremsen, indem sie das Volksbegehren vor das Landesverfassungsgericht zerrt«, fordert Schmidberger. Für Rouzbeh Taheri ist klar, »dass in der jetzigen Phase eine Ablehnung nur politisch motiviert sein kann«. Er ist überzeugt: »Eine Ablehnung des Volksbegehrens wird viele juristische Verrenkungen kosten.«

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