Der sanfte Pesthauch des Spätkapitalismus

Carl Cederström zeigt, wie euphorische Glücksversprechen betriebswirtschaftlich einschrumpfen

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wieder ein Buch, bei dessen Lektüre einen der Pesthauch des Spätkapitalismus sanft anweht. Die Geschichte ist schon oft erzählt: Die Versprechen auf Befreiung im Gefolge der Revolten der sechziger und siebziger Jahre sind eingegangen in die moderne Unternehmensphilosophie. Und haben damit, wie Luc Boltanski und Eve Chiapello in ihrer grundlegenden Studie 1999 geschrieben haben, so etwas wie einen »neuen Geist des Kapitalismus« mitgeformt. Verknappt gesagt: Die Versprechen auf Glück, die die Revolte nicht einlösen konnte, dienen nun der Mobilisierung derer, die sich frohsinnig ausbeuten lassen. Spaß, Befreiung, Authentizität - das soll ausgerechnet in der Lohnarbeit realisiert werden.

Der Organisationssoziologe Carl Cederström erzählt diese in der kritischen Soziologie gängige Geschichte aus einer neujustierten, klärenden Perspektive. »Die Phantasie vom Glück« rekonstruiert, wie ein subkulturell tradiertes Glücksversprechen, das vor allem als Authentizität, Selbstverwirklichung und Eins-sein mit sich selbst gefasst worden ist, zum eingefleischten Motivierungsinstrument geworden ist.

Die Geschichte beginnt mit dem Psychoanalytiker Wilhelm Reich, der in Cederströms Erzählung das Bindeglied zwischen der Welt vor ’68 und der Zeit danach bildet. »Ich will, dass du aufhörst, ein Untermensch zu sein, dass du ›du selbst‹ wirst«, schrieb Reich 1945 in seiner »Rede an den kleinen Mann«.

Dass aus dem politischen Kampf Wilhelm Reichs gegen sexuelle Repression bereits in der Subkultur für männliche Jungsozialisten, Beatniks, Hippies und so weiter eine Rechtfertigung einer oft genug übergriffigen Alle-Leinen-los-Haltung werden konnte, verweist auf die egozentrischen Potenziale der Selbstbefreiungsversuche. Cederström spürt dem in den Siebzigern durchbrechenden Narzissmus in der damaligen Selbsthilfe- und Therapiekultur nach. Auch die zeitgenössischen Lieblingsdrogen sind ihm im Rückblick weniger ein Instrument der Befreiung als ein Durchlauferhitzer auf dem Weg zum umfassend entsolidarisierten Subjekt.

Es ist schade, dass in der weitgehend bruchlosen Linie, die »Die Phantasie vom Glück« zeichnet, die Ambivalenz, bzw. die Dialektik verschwindet. Dass aus Reichs oder Stanislav Grofs Werken, um nur zwei der prominentesten Protagonisten dieses Buches zu nennen, auch viel Bewahrenswertes zu finden ist, verschwindet hier im Blick zurück weitgehend.

Aber das sind – zumindest in diesem Zusammenhang – kulturhistorische Feinheiten. Die zentrale These Cederströms trifft den Kern einer Idee vom Glück, die das Individuum über alles stellt. Glaubt man seinem Buch, ist sie inzwischen weitgehend ruiniert: »Wer glaubt an das Recht auf Lust, wenn es von Weinstein und Trumpusconi benutzt wird, Frauen zu missbrauchen?« fragt Cederström. »Und wie können wir glauben, dass Arbeit der Weg zu einem freudvollen, authentischen Leben ist, wenn wir sehen, wie schlecht bezahlte Arbeiter gezwungen werden, authentisch zu lächeln, um den Anschein zu erwecken, als ob ihnen ihre Arbeit wirklich gefiele?«

Man lernt: Alles geht zu Schanden, und was ursprünglich nicht nur Linderung, sondern wirklich ein Ende des Dummen und Falschen bedeuteten sollte, wird vom Dummen und Falschen aufgesaugt und für eigene Zwecke instrumentalisiert.

Carl Cederström: Die Phantasie vom Glück. Aus dem Englischen von Norbert Hofmann. Edition Tiamat, 182 S., bros., 18 €.

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