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Das kleine Wunder von Wiesbaden
Gerd-Uwe Mende (SPD) siegt bei Stichwahl um Oberbürgermeisteramt / Demonstration gegen Mietenwahnsinn
Mit dem Sieg ihres Kandidaten Gert-Uwe Mende (56) bei der Oberbürgermeisterwahl in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden ist der SPD am Sonntag ein kleines »Wunder« gelungen. Mende setzte sich in der Stichwahl mit 61,8 Prozent deutlich gegen CDU-Mann Eberhard Seidensticker durch, der 38,2 Prozent errang. Schon in der ersten Runde am 26. Mai hatte der SPD-Mann mit 27,1 Prozent gegen sechs Mitbewerber die Nase vorn.
Im Vergleich zur ersten Runde steigerte sich Mende von knapp 30.000 auf fast 41 000.absolute Wählerstimmen. Seidensticker hingegen rutschte von knapp 27.000 Stimmen auf nunmehr gut 25.000 ab. Die Wahlbeteiligung war mit mageren 32,1 Prozent noch niedriger als bei der OB-Stichwahl 2013, als SPD-Mann Sven Gerich überraschend den CDU-Amtsinhaber Helmut Müller schlug.
Der gelernte Zeitungsredakteur Mende war in den 1990er Jahren Pressesprecher in SPD-geführten Landesministerien und ist bislang Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion. Er hätte noch im Januar nicht zu träumen gewagt, Ende Juni als Verwaltungschef in der 280 000-Einwohner-Stadt vereidigt zu werden. Schließlich hatte alle Welt Amtsinhaber Gerich eine zweite Amtszeit zugetraut. So auch die zerstrittene CDU, die mit dem biederen Dachdeckermeister Seidensticker einen Verlegenheitskandidaten und keinen Mann aus der ersten Reihe ins Rennen schickte.
Doch Gerich geriet durch Luxusurlaube mit schillernden Geschäftsleuten unter Korruptionsverdacht und verzichtete in letzter Minute auf eine erneute Kandidatur. Seine Partei machte aus der Not eine Tugend und hob mit Mende einen Mann aufs Schild, der bislang im Rathaus nicht verwurzelt war und daher auch nicht im Verdacht von Filz und Klüngelei stand. Zur Wahl Mendes hatte die Wiesbadener LINKE aufgerufen, deren Bewerber Ingo von Seemen am 26. Mai mit 5300 Stimmen knapp unter fünf Prozent geblieben war. Die Grünen, deren Bewerberin es nicht in die Stichwahl schaffte, gaben hingegen keine Wahlempfehlung ab und wollten nach allen Seiten offen bleiben.
Mende arbeitete sich im Wahlkampf rasch in die Details der Kommunalpolitik ein, legte auf »Zuhören« großen Wert und trat unermüdlich in Stadtteilen, Betrieben, Vereinen, Straßenaktionen sowie bei Hausbesuchen und Podiumsdiskussionen in Erscheinung. Selbst Juso-Chef Kevin Kühnert ließ es sich nicht nehmen, auf der Durchreise zwei Stunden lang bei Hausbesuchen für Mende zu werben.
Wenn der Neue am 1. Juli vom Landtag in das einen Steinwurf entfernte Rathaus umzieht, sind damit große Erwartungen verbunden. Wiesbaden gehört zu den zehn deutschen Städten mit dem höchsten Mietniveau. Die Einwohner müssen im Schnitt über 40 Prozent des verfügbaren Einkommens für Wohnen ausgeben. Das Wochenende stand im Zeichen der ersten örtlichen Demonstration gegen Mietenwahnsinn und spekulativen Leerstand seit Jahrzehnten. So marschierten gut 200 Menschen durch das Westend und die Innenstadt und forderten die Beschlagnahme von Leerstand und die Enteignung von Spekulanten. Gleichzeitig besetzten Aktivisten im Sinne dieser Forderungen ein seit Jahren leerstehendes Haus in Sichtweite des hessischen Bauministeriums.
Mende hatte bei einer LINKEN-Mitgliederversammlung die Einrichtung eines Leerstandskatasters versprochen, das es bisher in Wiesbaden nicht gibt. Wohnungsdezernent Christoph Manjura (SPD) sagte den Hausbesetzern zu, dass er mehr Druck auf die schwarz-grüne Landesregierung ausüben wolle, damit die Kommunen per Landesgesetz wieder eine Handhabe zum Eingreifen gegen spekulativen Leerstand bekämen. Linke Gewerkschafter aus der IG BAU erwarten von Mende ein beherztes und konsequentes Vorgehen der Verwaltung gegen Lohndumping und Schwarzarbeit. »Der neue OB muss jetzt das Versprechen, sich für eine soziale Stadt einzusetzen, unbedingt einlösen«, heißt es in einer Erklärung der Rathausfraktion LINKE&PIRATEN.
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