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Freie Fahrt für E-Scooter
Seit dieser Woche können elektrische Tretroller in Berlin ausgeliehen werden
Es ist ein wenig wie die erste Fahrschulstunde. Damals - noch unvertraut mit dem neuen Fortbewegungsmittel - stand man in vorderster Reihe an der Ampel und würgte punktgenau, als die Ampel von Rot auf Grün wechselte, den Motor ab. Die akustische Empörung der Blechkarawane hinter einem ließ nicht lange auf sich warten. Heute sind es keine hupenden Autos hinter mir, sondern ein Fahrradfahrer. Der scheint wenig Verständnis dafür aufzubringen, dass ich vergessen habe, meinen E-Scooter erst per Fuß anzuschieben, bevor ich den Gashebel betätigen kann. »Nimm doch den Fußweg mit deinem Spielzeug«, ruft er mir beim Vorbeifahren noch hinterher.
An die neuen Verkehrsteilnehmer wird er sich gewöhnen müssen: Bis Juli erwartet die Senatsverwaltung für Verkehr »mehrere tausend« Tretroller in Berlin, wie Jan Thomsen, Sprecher von Verkehrssenatorin Regine Günthers (parteilos, Grüne), bestätigt. Seit dem vergangenen Wochenende sind die Scooter offiziell für die Straße genehmigt und bereits seit Anfang dieser Woche in Berlin unterwegs.
Gleich am Montag hat die Berliner Firma »Circ« die ersten 15 Scooter in Berlin aufgestellt, mit denen das Fahren eigentlich ganz einfach ist, wenn ich sie denn erst einmal gefunden habe. Am Mittwochmorgen navigiere ich mit der Smartphone-App des Anbieters über den Alexanderplatz. Auf der Suche nach dem Circ-Scooter vor Ort sticht mir stattdessen die limettengrüne Konkurrenz ins Auge. Denn seit Dienstag ist auch die US-amerikanische Firme »Lime« mit einer zunächst 100 Scooter großen Flotte am Start. Also noch die Lime-App runtergeladen, Kreditkartennummer angegeben, Barcode des Scooters gescannt und los geht›s.
Fast: Denn erst kommen neben der Bedienungsanleitung - die Sache mit dem erst Anschieben vor dem Gas geben - auch die Sicherheitshinweise. »Trage immer einen Helm«, sagt einem die App vor Beginn der Fahrt. Eine Pflicht diesen zu tragen gibt es zwar für die sogenannten Elektrokleinstfahrzeuge nicht, dafür aber ein Mindestalter von 14 Jahren, um mit den Scootern fahren zu dürfen.
Nachdem Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) im Mai auf Druck der Bundesländer einlenkte, sind diese Fahrten nicht mehr wie ursprünglich geplant auf dem Gehweg, sondern nur noch auf Straßen und Radwegen erlaubt. Der Sprecher der Verkehrssenatorin Günthers räumt aber auch ein: »Wir brauchen uns keine Illusion zu machen. Es braucht generell breitere und sicherere Radwege, damit es zu keinen Konflikten zwischen Rad- und Tretrollerfahrern kommt.«
An der nächsten Kreuzung auf meinem Weg vom Alexanderplatz zum nd-Gebäude klappt es dann mit dem Ampelstart und den anderen Fahrradfahrern. Einer zeigt sich sogar sichtlich interessiert: »Und, zufrieden?« Erfragen kann ich nur noch, dass er lieber beim Rad bleibt, dann ist er auch schon weg. Denn mit einer Geschwindigkeit von 20 Stundenkilometern werde ich von allen Radfahrern auf meinem Weg überholt. Doch bei der »shared mobilty« soll es nicht nur um den Fahrspaß gehen. Eigentlich sollen Tretroller ebenso wie Leihräder den Verkehr entlasten und ein Angebot für die sogenannte letzte Meile sein. Einen also von der eigenen Haustür zur nächsten Bahnstation transportieren und damit den Verzicht auf das Auto attraktiver machen.
Wulf-Holger Arndt, Verkehrswissenschaftler an der TU Berlin, sagt aber auch: »So wie sie derzeit im Stadtgebiet verteilt werden, ist das verkehrstechnisch nicht wirklich sinnvoll.« Vor allem in Mitte an stark frequentierten Plätzen wie dem Checkpoint Charlie, Brandenburger Tor oder Alexanderplatz stehen die Tretroller. Besser wäre es laut Arndt, die Scooter im Randbereich der Stadt aufzustellen: »So könnten die Tretroller tatsächlich bei der letzten Meile von der Bahn bis nach Hause eingesetzt werden.« Lernen solle Berlin deshalb von Paris, meint Arndt.
Nachdem sich die Scooter dort auf »anarchistische Weise« vervielfacht hätten, wie Bürgermeisterin Anne Hidalgo auf Twitter geschrieben hat, sind strengere Auflagen erlassen worden. »Es gibt in Paris zum Beispiel markierte Stellflächen, wo die Roller parken müssen, um zu verhindern, dass sie überall stehen«, sagt Arndt.
Dem RBB hat Martin Hikel (SPD), Bezirksbürgermeister von Neukölln, am Dienstag gesagt, dass er sich das auch für Berlin wünschen würde. Aufgrund der Erfahrung mit in Parks und auf Fußwegen parkenden Leihrädern fordert er feste Stationen und eine begrenzte Anzahl der Tretroller. Der Sprecher der Verkehrssenatorin Günthers bestätigt, dass es von der Senatsverwaltung »gegebenenfalls weitere Auflagen« geben könnte, falls es Probleme mit parkenden E-Scootern gibt.
Auf dem Franz-Mehring-Platz in Friedrichshain kann ich den Scooter einfach neben den Fahrrädern abstellen. Gut 20 Minuten hat meine Fahrt gedauert. Gekostet hat sie rund vier Euro. Einen Euro für die Ausleihe und 15 Cent je Minute. Lediglich das Abbiegen fühlt sich unsicher an. Ohne Blinker und mit Handzeichen fährt es sich einhändig dann doch wackeliger als auf dem Rad.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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