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Streit um Göttinger Friedenspreis geht weiter
FDP im Stadtrat fordert Verurteilung antiisraelischer BDS-Kampagne und Ende der Unterstützung für Preisstifter
Dreieinhalb Monate nach der Vergabe des Göttinger Friedenspreises an den Verein »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« beschäftigen die Antisemitismusvorwürfe gegen den Preisträger nun den Göttinger Stadtrat. Zur Sitzung des Kommunalparlamentes an diesem Freitag hat die FDP-Fraktion den Antrag »BDS keine Plattform bieten - Antisemitismus bekämpfen!« eingebracht. Eine Ratsmehrheit plädiert jedoch für Nichtbefassung.
In Anlehnung an einen Bundestagsbeschluss vom Mai verlangen die Liberalen, dass die Stadt »jeder Form des Antisemitismus schon im Entstehen in aller Konsequenz entschlossen entgegen« tritt. Gleichzeitig soll die Kommune die BDS-Kampagne (BDS steht für Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) und ihren Aufruf zum Boykott von Waren und Unternehmen aus von Israel besetzten palästinensischen Gebieten sowie von israelischen Wissenschaftlern, Künstlern und Sportlern verurteilen. Ebenso sollen »alle antisemitischen Äußerungen und Übergriffe, die als vermeintliche Kritik an der Politik des Staates Israel formuliert werden, tatsächlich aber Ausdruck des Hasses auf jüdische Menschen und ihre Religion sind«, verurteilt werden. Organisationen, die sich entsprechend äußern, dürften keine städtischen Räumlichkeiten nutzen, verlangt die FDP.
Der vierte von sechs Punkten des Antrags zielt auf den Göttinger Friedenspreis und seine Jury unter Vorsitz des »taz«-Journalisten Andreas Zumach: Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler (SPD) wird aufgefordert, »die Beteiligung am Göttinger Friedenspreis bis zu einer Klärung im Sinne nachweislich nicht antisemitischer Tendenzen bisheriger Preisträger oder Jurys bis zu einem Beschluss des Rates vorerst einzustellen«.
Der Friedenspreis wird seit 1999 von der Stiftung Dr. Roland Röhl vergeben. Köhler ist qua Amt Mitglied im Kuratorium der Stiftung. Die Stadt unterstützte die Verleihfeier bis 2018 auch durch ein Grußwort. In diesem Jahr aber war alles anders.
Als eine der Ersten hatte die Göttinger FDP-Fraktionsvorsitzende Felicitas Oldenburg den Verein »Jüdische Stimme« als antisemitisch kritisiert. Sie begründete das mit dessen Nähe zur BDS-Bewegung. Der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, schlossen sich an. Ein Bündnis namens »Jachad«, zu dem auch die Jüdische Gemeinde Göttingen zählt, verlangte in einem offenen Brief gar eine Neubesetzung der Jury und rief zu einer Kundgebung gegen die Preisverleihung auf.
Wegen der Vorwürfe zogen in der Folge die Universität, die Stadt und die Sparkasse ihre Unterstützung für die Preisverleihung zurück. Die Verleihfeier konnte deshalb nicht wie sonst in der Aula der Uni stattfinden und wurde in einer privaten Galerie veranstaltet. Wegen des großen öffentlichen Interesses wurde sie in zwei weitere Gebäude übertragen. Mehr als 200 Organisationen und Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland erklärten sich mit der »Jüdischen Stimme« solidarisch.
Hinter dem Streit steht die Frage, inwieweit Kritik an der Politik der Regierung Israels bereits antisemitisch ist. Seine Fortsetzung fand er in Göttingen zunächst vor Gericht. Mit Anträgen auf einstweilige Anordnung ging der stellvertretende Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Achim Doerfer, gegen den Juryvorsitzenden Zumach vor, in einem Fall auch erfolgreich. Zudem zeigte er Zumach bei der Staatsanwaltschaft wegen Beleidigung an.
SPD, CDU, Grüne und LINKE erklärten auf nd-Anfrage, sie wollten sich der Diskussion zum Thema trotz absehbarer Nichtbefassung mit dem Antrag stellen. Eine so wichtige gesellschaftspolitische Debatte müsse »in einem breiteren gesellschaftlicheren Rahmen als einer Ratssitzung stattfinden«, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der vier Stadtratsfraktionen. Für eine entsprechende Veranstaltung werde nun ein passendes Format gesucht.
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