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Schwedens Schreckgespenst
Vor dem Viertelfinale der deutschen Fußballerinnen gegen die Lieblingsgegnerinnen bleibt die Frage, ob Dzsenifer Marozsan von Beginn an spielt. Es wäre nicht unbedingt besser.
Schon im Mittelalter spielte der Fluss Vilaine für die Bretagne eine sehr wichtige Rolle. Auf ihm wurden Waren aus dem Golf von Biskaya bis hoch nach Rennes transportiert. Und auch heute ist sein Wert mit den angrenzenden Gewässern für die bretonische Hauptstadt nicht zu unterschätzen, denn nur hier findet sich noch Abkühlung von der Sommerhitze, die mittlerweile auch Frankreichs Norden in den Klammergriff genommen hat. Direkt an diesem Fluss liegt auch der Roazhon-Park, in dem an diesem Sonnabend der wichtigste WM-Härtetest fürs deutsche Frauennationalteam mit dem Viertelfinale gegen Schweden ansteht.
Während der einwöchigen Pause seit dem Achtelfinale - so viel wie bei keinem anderen Teilnehmer des Turniers - ist die Anspannung genauso gestiegen wie das Außenthermometer. Trotzdem will Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg den langen Vorlauf nicht missen: »Weil wir zu Kräften kommen konnten. Wir haben einen Schwerpunkt gesetzt im technisch-taktischen Bereich.« Die 51-Jährige erwartet ein »Spiel auf Augenhöhe, in dem Kleinigkeiten entscheiden können«. Oder einfach die größere Hitzebeständigkeit.
In der Heimstätte des französischen Männer-Pokalsiegers Stade Rennes findet nun also der ewige Klassiker des Frauenfußballs statt. Fast bei jedem Turnier treffen beide Nationen aufeinander. »Es ist gar nicht verwunderlich, dass es wieder zu dieser Konstellation kommt«, sagt Voss-Tecklenburg, da beide Teams oft die K.o.-Runde erreichen. 20 von 28 Begegnungen haben die Skandinavierinnen gegen die DFB-Auswahl allerdings verloren. Die letzte deutsche Turnierniederlage gab es bei der WM 1995 (2:3). Zur Vertreibung des Fluchs hat sich Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven mit aufmunternden Worten eingeschaltet und die Anführerin Caroline Seger hat angekündigt, »die ewige Geschichte umzuschreiben«.
Für den zweifachen Weltmeister und Olympiasieger Deutschland hängt gleich zu Beginn der Amtszeit von Voss-Tecklenburg an diesem europäischen K.-o.-Duell die wichtige Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020. Persönlichen Druck empfinde die gebürtige Duisburgerin deshalb aber nicht: »Ich vertraue dieser Mannschaft, die ein enormer Charakter, Leidenschaft und Wille kennzeichnet.«
Für den spielerischen Fortschritt könnte Dzsenifer Marozsan wichtig werden, die nicht nur für die Bundestrainerin eine »der besten Fußballerinnen der Welt« ist und nach ihrem im Auftaktspiel gegen China in Rennes erlittenen Bruch des linken Mittelzehs zumindest halbwegs einsatzbereit sein soll. Am Freitag sagte ihre Trainerin: »Dzsenifer wird spielen können. Wir werden noch entscheiden, ob von Beginn an oder erst im Laufe des Spiels.«
Die deutsche Spielmacherin gilt als das personifizierte schwedische Schreckgespenst. Im Halbfinale der EM 2013 gab sie für den damaligen Turniergastgeber die Spaßbremse, als sie in Göteborg den Ball entschlossen über die Linie zum 1:0 grätschte. Viel filigraner erzielte sie im WM-Achtelfinale 2015 in Ottawa (4:1) ihr erstes WM-Tor, und im Olympiafinale 2016 war sie die Matchwinnerin, als sie in Rio de Janeiro bei beiden Treffern zum 2:1 ihren feinen Fuß im Spiel hatte. Allein mit ihrer Präsenz beschwört die Strategin also bei den Gegnerinnen die Geister der Vergangenheit.
Vermutlich ist der Platz auf der Bank für sie der bessere. Denn die recht unerfahrene Mannschaft hat ohne Marozsan einen erstaunlichen Emanzipationsprozess hingelegt. Deutschland gewann ohne die Taktgeberin zwar keine Schönheitspreise, blieb aber immer ohne Gegentor. ARD-Expertin Nia Künzer, die im WM-Finale 2003 - auch gegen Schweden - das Golden Goal zum 1:0 köpfte, hat ebenfalls einen positiven Abnabelungseffekt beobachtet. »Vorher hat sich alles auf Dzsenifer Marozsan konzentriert, jetzt schaffen sie es, das als Team aufzufangen.«
Die Trainerin muss nun abwägen, ob sie im Viertelfinale alles wieder auf ihre Edeltechnikerin ablädt. Nicht das im Teamhotel omnipräsente und vor jedem Spiel ausgerufene »Allez maximal!«, sondern »Alle Bälle zu Maro!« schien zuvor das wahres Motto zu lauten. »Gefühlt kann man sie in jeder Situation anspielen. Dass sie mit einer Situation ein Spiel entscheidet, hat sie schon oft gezeigt«, sagt Abwehrchefin Marina Hegering über Marozsan.
Aber Torhüterin Almuth Schult sieht auch ein Wagnis, wenn auf der Nummer zehn jetzt wieder zu viel Druck laste. »Es ist etwas anderes, wenn man so lange nicht durchgängig trainieren kann. Wir freuen uns, wenn sie auf dem Platz steht. Aber wir wollen als Mannschaft 90 Minuten eine tolle Leistung zeigen - ob mit Dzseni oder ohne.« Vielleicht reicht es sogar, wenn Marozsan nach 120 strapaziösen Minuten humpelnd im Elfmeterschießen verwandelt.
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