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Ein Loch, ein Schuss, ein Tor
Jackie Groenen steht für eine neue Generation von Fußballerinnen - und hat die Niederlande ins WM-Finale geführt
In den Niederlanden ist man sich längst einig: Niemand lächelt auf dem Fußballplatz so ansteckend wie Jackie Groenen. Mitunter grinst die Mittelfeldspielerin des niederländischen Nationalteams auf Knopfdruck. Aber wer das WM-Halbfinale zwischen den Niederlanden und Schweden (1:0 nach Verlängerung) mit einem eher untypischen Distanzschuss entscheidet (99.), muss auch Erklärungen abgeben. Die 24-Jährige erledigte den Nachlauf zu mitternächtlicher Stunde in Lyon gut gelaunt. »Ich habe kurz ein Loch gesehen. Und dann habe ich den Schuss genommen«, sagte die »Spielerin des Spiels«.
Ihr erst dritter Treffer im 53. Länderspiel öffnete die finale Tür, wobei ihre Mitspielerin Daniëlle van de Donk bereits vor einigen Wochen den Wink mit dem Zaunpfahl gab. »Eigentlich habe ich einen anderen Stil, aber sie hat mir gesagt, dass ich häufiger schießen soll.« Dass sie sich grundsätzlich viel zutraut, ist nicht neu. Als sie das erste Mal auf dem Campus des niederländischen Fußballverbandes KNVB erschien, sah sie sich extra nach den Zitaten ihres großen Vorbildes Johan Cruyff um. Und bald trat sie an ihre Trainerin Sarina Wiegman mit einem besonderen Wunsch heran: »Ich würde mich freuen, die Nummer 14 zu tragen, auch wenn es in Holland keine leichte Nummer ist.«
Die weibliche Version beschert den »Oranjes« nun das WM-Finale gegen die USA: Europameister fordert Weltmeister. Groenen kann den Leistungsvergleich kaum abwarten: »Wir haben uns die Spiele der USA angesehen. Sie sind natürlich ein sehr starkes Team, sie sind die USA! Aber wir werden versuchen, unser eigenes Spiel durchzubringen.« Schafft die Frohnatur, was ihrem Idol verwehrt blieb? Die Männer haben alle drei WM-Endspiele 1974, 1978 und 2010 verloren.
Der Trend spricht jedenfalls nicht gegen die Frauen. Ein Dutzend Turniersiege gab es bereits in Folge. Der EM-Titel im eigenen Land 2017 war das Produkt eines Sturm-und-Drang-Stils, bei dem die »Leeuwinnen« die Gegnerinnen mit der Unterstützung des Publikums überrannten. Zwar ist das System (4-3-3) und das Personal fast immer noch dasselbe, aber Trainerin Wiegman hat ihrem Ensemble für die WM 2019 in Frankreich ungeachtet von öffentlicher Kritik das Ergebniskalkül gelehrt. Und es war kein Nachteil, zwischendrin die WM-Zulassung erst über die Playoffs gegen die damals noch von Martina Voss-Tecklenburg trainierte Schweiz (3:0, 1:1) zu erlangen. »Wir haben hart gearbeitet, um bei dieser WM überhaupt dabei zu sein«, sagt Groenen. »Jetzt werden wir sehen, was im Finale passiert. In einem Spiel gibt es immer eine Möglichkeit.«
Die WM krönt ihre persönliche Entwicklung, an der es zum nächsten Wendepunkt kommt. Nach fast zehn Jahren Aus- und Weiterbildung in Deutschland (erst SGS Essen und FCR Duisburg, nach einem Abstecher zum FC Chelsea seit 2015 beim 1. FFC Frankfurt) kehrt sie wie so viele Topspielerinnen der Bundesliga den Rücken. Groenen soll zum prägenden Gesicht des gerade erstklassig gewordenen Teams von Manchester United aufgebaut werden. Auch Jill Roord und Lineth Beerenstyn, die vom FC Bayern zu den Arsenal Ladies wechseln, zieht es in die finanzstärkere Women’s Super League. Frankfurts Manager Siegfried Dietrich hatte keine Chance, seine hoch geschätzte Sympathieträgerin zu halten: »Jackie steht für eine neue Generation, die enorm ehrgeizig und willensstark ist.«
Nebenbei absolviert Groenen ein Fernstudium Jura mit dem Schwerpunkt Scheidungsrecht. Für einige Vorlesungen reist sie mitunter in ihre Heimatstadt Tilburg. Inzwischen könnte sie auch vom Fußball gut leben. Die nur 1,65 Meter große Akteurin beeindruckt anfangs eher den Stadionbesucher als den Fernsehzuschauer, wenn sie das Geschehen instinktsicher aus der Tiefe des Raumes lenkt. Vor vielen Torgelegenheiten gibt sie erst die Initialzündung. Als Meisterin für den vorletzten Pass.
Ihr hoher Wirkungsgrad ergibt sich aus einem besonderen Gespür für Raum und Zeit. Antizipation und Durchsetzungsvermögen, Beweglichkeit und Zweikampfgeschick wirken bei ihr meisterhaft, ja sogar weltmeisterlich. Was an ihrer Ausbildung liegt, denn sie durchlief zuerst eine Laufbahn als Judoka, war nationale Meisterin der U15, U17 und U20. Ihr größter Erfolg sollte vor neun Jahren EM-Bronze bei den unter 17-Jährigen sein, in der Gewichtsklasse unter 40 Kilogramm. Fußball spielte das Leichtgewicht, wie ihre ältere Schwester Merel, lange parallel. »Ich habe viel beim Judo gelernt. Ich kann das nur empfehlen«, sagte sie einmal. Als sich Jackie Groenen nach einem Hüftbruch entschloss, Judo für den Fußball gänzlich aufzugeben, hätte sie sich nie träumen lassen, dass ihr dort mal solch ein großer Wurf gelingen würden, der ein ganzes Land zum Lächeln bringt.
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