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»Keine rechtsterroristischen Strukturen«
NRW-Innenministerium verharmlost in einem Bericht die gewalttätige Neonaziorganisation »Combat 18«
»Die Landesregierung lässt sich von niemanden in der Bekämpfung des Rechtsterrorismus übertreffen.« Diesen Satz sagte Innenminister Herbert Reul Anfang Juli im Innenausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags. Doch wie sieht die politische Praxis aus? Hier lohnt ein Blick auf den Umgang mit der rechtsterroristischen Gruppe »Combat 18«.
Im März hatte die Landesregierung auf eine Anfrage der Abgeordneten Verena Schäffer (Grüne) mitgeteilt, dass den Mitgliedern der Organisation seit 2009 insgesamt 84 Straftaten zugeordnet werden können. Darunter fallen Fälle von gefährlicher Körperverletzung, das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung, Verstöße gegen das Waffengesetz, Diebstahl und weitere Delikte. Seit 2012, nachdem sich »Combat 18« neu strukturiert hatte, kam es allein zu 82 der 84 Straftaten. Diese hatte die Landesregierung bis Februar 2019 aufgelistet.
Doch erst jetzt schaut die Landespolitik genauer auf das Treiben von »Combat 18«. Der Grund: die Verbindungen von Stephan E., dem mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU). E. hat eine lange »Karriere« als Neonazi hinter sich und war den Behörden bekannt. Nach Angaben des NRW-Innenministeriums reiste der Verdächtige beispielsweise am 1. Mai 2009 mit 21 Personen aus Hessen nach Dortmund, um sich an einem Angriff auf eine DGB-Kundgebung zu beteiligen. E. habe sich »an den Steinwürfen beteiligt«, schrieb das Innenministerium dem Innenausschuss des Landtages, der sich vergangenen Donnerstag mit dem Fall befasste.
Nach einem aktuellen Bericht des Recherchekollektivs »Exif« hat E. »in den 2000er Jahren zum engeren Kreis um die Neonazis Michel F. und Mike S.« gezählt. Der Kasseler Michel F. zählte laut Exif damals zum Kreis der »Oidoxie Streetfighting Crew«, die vor der Neustrukturierung quasi als Combat-18-Zelle fungiert haben soll. Die Gruppe gründete sich als selbsternannter Sicherheitsdienst der heute noch aktiven Neonaziband »Oidoxie«. Auch der Neonazi Robin S. war dabei. Detaillierte Angaben über die Band und ihre Security-»Crew« sind auch im Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses des Landtags NRW enthalten.
Dass es vor der Neustrukturierung 2012 überhaupt eine rechtsterroristische Zelle von »Combat 18« in Dortmund gegeben haben soll, hatte der bis 2009 zuständige Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Hartwig Möller, im Untersuchungsausschuss bestritten: »Ich kenne keine öffentliche Äußerung: ›Hier ist Combat 18 Dortmund und wir machen dies und dies und dies‹.« Man stülpe nun einen Begriff über verschiedene Aktivitäten, über eine Gruppe, die das Selbstverständnis, als eine solche aufzutreten, gar nicht gehabt habe, meinte Möller und fügte hinzu: »Deswegen haben wir gesagt: So eine Struktur gibt es nicht.«
Nachdem der öffentliche Druck in Bezug auf »Combat 18« durch die neuen Erkenntnisse im Mordfall Lübcke zunahm, sah sich die in den vergangenen Jahren sehr konspirativ organisierte Zelle veranlasst, ein Video zu veröffentlichen. Darauf zu sehen ist mutmaßlich der vermummte Robin S. Mit verzerrter Stimme liest er ein Statement der Gruppe vor, in dem ein Journalist und die Rechercheplattform »Exif« bedroht werden. Nach der Argumentation des früheren LfV-Chefs wäre damit wohl die Existenz einer Zelle belegt.
Doch nach Ansicht des Inlandsgeheimdienstes ist das nun nicht mehr das Problem. Im Bericht an den Innenausschuss des NRW-Landtags geht das Innenministerium auf die Aktivitäten von »Combat 18« und auf die von Robin S. ein. »Dieser Akteur hat auch 2019 an mehreren Demonstrationen der Partei ›Die Rechte‹ im Rahmen ihres Europa-Wahlkampfs teilgenommen und sich mit entsprechenden T-Shirts gezeigt.« Die Sicherheitsbehörden orientierten sich nun bei der Verwendung des Begriffs »Terrorismus« am Straftatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung, also dem Paragrafen 129 a.
Darunter fallen die 82 Straftaten von »Combat 18« laut Innenministerium jedoch nicht. Im Bericht an den Innenausschuss heißt es unter Punkt vier in der Überschrift sogar: »Keine rechtsterroristischen Strukturen in Nordrhein-Westfalen.« Burkhard Freier, der amtierende Leiter des LfV NRW, erklärte, die Personen der Combat 18-Zelle in NRW, würden die Straftaten nicht »im Sinne der Organisation« verüben, »sondern als Einzelpersonen«. Zuvor hatte Freier noch betont, die Ideologie des »führerlosen Widerstandes« könne in Terrorismus münden. Ein Verbotsverfahren will das Innenministerium NRW nicht eröffnen. Reul verweist dabei auf die Zuständigkeit von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).
Auch den Mord an Walter Lübcke bewertete das Innenministerium nicht als Tat einer rechtsterroristischen Gruppe. Bei dem mutmaßlichen Schützen und den beiden der Beihilfe verdächtigen Personen - einer von ihnen ist der Kasseler Neonazi Markus H. - lägen »keine Anhaltspunkte vor, dass sie sich zu einer rechtsterroristischen Vereinigung zusammengeschlossen haben«, so Herbert Reul. Trotzdem würden die Kontakte der Kasseler nach NRW intensiv geprüft, versprach der Minister.
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