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»Das macht mich wütend«
Nach der Ermordung eines Juden äthiopischer Herkunft durch die Polizei protestieren in Israel Tausende Menschen
In Tel Aviv, Jerusalem und Haifa bereitete sich die Polizei am Montag auf Proteste vor. Man werde »unnachgiebig gegen Unruhestifter vorgehen«, heißt es in einer Mitteilung des Polizeipräsidiums Tel Aviv.
Doch dieses Mal sind es nicht Ausschreitungen von Palästinensern, die man erwartet, sondern Demonstrationen von Israelis äthiopischer Herkunft. Nachdem am vergangenen Sonntag ein 19-Jähriger durch die Polizei getötet wurde, gingen Tausende in Tel Aviv und anderen Städten auf die Straße, um gegen Diskriminierung, Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren. Nach Angaben der Polizei wurden über 100 Polizisten verletzt und 139 Demonstranten festgenommen. Unerwähnt blieben die gut 150 Demonstranten, die durch Gummigeschosse und Tränengas verletzt wurden. »Das macht mich wütend«, sagt Gadi Jewarkan, ein äthiopischstämmiger Knesset-Abgeordneter der zentristischen Blau-Weiß-Liste. »Mein Eindruck ist, dass die Polizei immer etwas härter vorgeht, wenn Menschen mit dunkler Hautfarbe im Spiel sind.« Die Polizei bestreitet das. So sei das Opfer nicht etwa, wie von seiner Familie behauptet, »ermordet« worden; der Polizist, der den Schuss abfeuerte, sei zuvor mit Steinen beworfen worden, habe dann auf den Boden gezielt, um einen Warnschuss abzugeben. Dieser sei dann vom Boden abgeprallt und habe den 19-Jährigen tödlich getroffen.
Bei Protesten in den palästinensischen Gebieten ist diese Praxis schon vor Jahren verboten worden, denn immer wieder waren Schüsse vom Boden abgeprallt. Ebenso soll gemäß der Einsatzrichtlinien der direkte Kontakt großer Polizeiaufgebote mit Demonstranten vermieden werden, und das mit Erfolg: in Ost-Jerusalem ist die Zahl der gewalttätigen Ausschreitungen seitdem stark zurückgegangen.
Doch für die äthiopischen Israelis geht es nicht nur um den Tod des jungen Mannes: Lange hatten Juden in Äthiopien dafür gekämpft, dass die israelische Regierung sie als Juden anerkennt und ihnen damit das Recht einräumt, nach Israel einzuwandern. Denn die Riten der äthiopischen Juden stammen aus der Zeit vor dem Bau des Zweiten Tempels, als der Verzehr von Schweinefleisch noch nicht durch die Religionsgesetze verboten und die Beschneidung von Männern noch kein religiöses Gebot war.
1984 begann die erste Einwanderungswelle, heute gibt es gut 140 000 Juden äthiopischer Herkunft in Israel. Nach Angaben der staatlichen Rentenversicherung liegt die Armutsquote unter ihnen bei 52 Prozent. Medien berichten regelmäßig über Schwierigkeiten bei der Job- und Wohnungssuche und offenen Rassismus. Ausgerechnet Ja‘ir Netanjahu, Sohn des Regierungschefs, setzte am Wochenende noch einen drauf: Die Proteste würden mit deutschem Geld »angestachelt«, sagte er. Gemeint war damit wohl, dass deutsche Parteistiftungen Organisationen unterstützen, die sich unter anderem für die Anliegen der äthiopischen Israelis einsetzen. »Nein, Ja‘ir, alles was geschieht, wird durch den Rassismus und die Unterdrückung angestachelt, die meine Gemeinschaft seit vielen Jahren erleiden muss«, twitterte Avi Yalo, einer der Organisatoren der Proteste. Und Jewarkan schrieb: »Diese jungen Leute haben mehr für das Land getan als Du, ein reicher Junge, der auf Kosten der Allgemeinheit lebt« - eine Anspielung darauf, dass der 27-Jährige noch keinen Job hatte und immer noch bei seinen Eltern lebt.
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