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  • Jahresticket im Nahverkehr

365 Euro wecken die Opposition

CDU fordert Zeitplan für Einführung von Nahverkehrsabo für einen Euro pro Tag

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Der Senat muss dem Parlament noch in diesem Jahr einen verbindlichen Fahrplan vorlegen für die von uns begrüßte Einführung des 365-Euro-Jahrestickets für BVG und S-Bahn«, fordert Oliver Friederici, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, am Dienstagmorgen. Er bezieht sich auf die Äußerungen des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) in der vergangenen Woche in Zürich. Müller wünschte sich für Berlin nach Wiener Vorbild die Senkung des Jahreskarten-Preises von derzeit 728 Euro bei Einmalzahlung auf 365 Euro.

»Wir unterstützen den Vorschlag des Regierenden Bürgermeisters insofern, weil er als Brückentechnologie in die richtige Richtung weist«, sagt Kristian Ronneburg von der Linksfraktion dem »nd«. Langfristig strebt die Berliner LINKE einen fahrscheinlosen Nahverkehr an. »Ich finde es lustig, dass die CDU einen Fahrplan für die Einführung fordert, denn in unserem Koalitionsvertrag gehen wir über das Ziel hinaus«, so Ronneburg.

So sollen weitere Finanzierungssäulen für den Öffentlichen Personennahverkehr gefunden werden. Das könnte eine Abgabe von Arbeitgebern sein, eine Lösung vergleichbar mit einer Innenstadtmaut für Autos oder Einnahmen aus einer viel weiträumigeren Parkraumbewirtschaftung in der Hauptstadt. Die entsprechenden rechtlichen und finanziellen Untersuchungen sind beauftragt, Ronneburg hofft, dass sie spätestens im nächsten Frühjahr vorliegen werden. »Zum jetzigen Zeitpunkt wäre ein verbindlicher Fahrplan für die Umsetzung unseriös«, so der Abgeordnete.

»Ein mögliches 365-Euro-Jahresabo konzentriert sich ausschließlich auf Abokunden und noch ist nicht geklärt, wie die Verkehrsbetriebe ihre drastischen Einnahmeeinbußen dann decken sollen«, heißt es dazu aus der Grünen-Fraktion. Auch sie verweist auf die rechtlichen Prüfungen.

268 Millionen Euro, dieses Finanzloch würde sich in Berlin laut Berechnungen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) auftun. Knapp 100 Millionen Euro davon würden zulasten der S-Bahn Berlin gehen, so die Schätzung.

»Angesichts überfüllter Busse und Bahnen und leider zu vieler Verspätungen, Ausfälle und Taktverlängerungen in unserer Stadt halten wir schnelle Investitionen für sinnvoller als übereilte Tarifsenkungen«, erklärt dazu Friederici.

»Natürlich müssen die Investitionen in den Nahverkehr vorher unbedingt weiter erhöht werden, das wissen wir alle«, so Ronneburg. »Auch der Bundesverkehrsminister ist aufgerufen, mehr Geld zu geben, schließlich hat er angekündigt, Bayern bei der Einführung eines 365-Euro-Tickets unterstützen zu wollen«, so Ronneburg. Berlin schreite schon jetzt mit neuen Angeboten voran. Ab August können Schüler kostenlos fahren. Über die 80.000 bestehenden Abonnements hinaus hat die BVG schon 130.000 Anmeldungen für neue Gratistickets erhalten. Zum gleichen Zeitpunkt wird ein neues, in ganz Berlin und Brandenburg gültiges Azubiticket für 365 Euro im Jahr eingeführt.

Die Kapazitäten im Berliner Nahverkehr sind für einen zusätzlichen Fahrgastansturm jedoch gar nicht ausgelegt. Es fehlt Personal, bei U- und S-Bahn fehlen Fahrzeuge, vom unzureichend ausgebauten Straßenbahnnetz gar nicht zu sprechen. Die Ausschreibung von bis zu 1500 neuen U-Bahnwagen hängt dazu noch vor der Vergabekammer fest. Der französische Fahrzeughersteller Alstom hatte als unterlegener Bieter im Mai eine Beschwerde eingelegt, die so substanziell zu sein scheint, dass die Entscheidung darüber dem Vernehmen nach gerade auf Ende Juli vertagt worden ist. Die reguläre Frist liegt bei fünf Wochen.

Und Wien? »Die wesentlichen Treiber des Erfolgs des Wiener Wegs liegen in einer ÖV-freundlichen Siedlungsstruktur, einem sehr attraktiven ÖPNV-Angebot und einer restriktiven Parkraumbewirtschaftung«, heißt es in einer aktuellen Studie des Beratungsunternehmens Civity, das die Einführung des Wiener 365-Euro-Tickets im Jahr 2012 begleitete. Der Ausbau des Verkehrsangebots, das bei dichteren Takten einen größeren Anteil der Bevölkerung auf der Schiene erreicht als in Berlin, fand vorher statt. Doch der Nachfragezuwachs stagniert auf hohem Niveau. »Echte Neukundeneffekte beziehungsweise eine substanzielle Mehrnachfrage durch die Tarifanpassung sind nicht ersichtlich«, so Civity.

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