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Gartenschau und befreite Heide
Zehn Jahre nach dem Aus für den Luftwaffenschießplatz lebt die Region um Wittstock auf
Über zu wenig touristische Aufmerksamkeit kann sich die Kleinstadt Wittstock/Dosse im Landkreis Ostprignitz-Ruppin dieser Tage eigentlich nicht beklagen. Seit dem 18. April empfängt sie als Ausrichterin der diesjährigen Landesgartenschau (Laga) Blumenfreunde, professionelle und Hobby-Gärtner nicht nur zu einem »einzigartigen Gartenfestival«, sondern profitiert gleich noch vom Boom der »Fontane.200«-Feierlichkeiten in der Region.
Dennoch lässt es sich die Kommune nicht nehmen, gemeinsam mit Bewohnern und Friedensaktivisten an ihren großen, vor zehn Jahren errungenen Erfolg zu erinnern: Mit einem Jubiläumsgottesdienst in der Dorfkirche Gadow beging sie den von Bürgerinitiativen mit Unterstützung von Kirchenvertretern, Kommunal- und Landespolitikern sowie zahlreichen Sympathisanten ertrotzten Verzicht der Bundeswehr auf die Weiterführung des Bombenabwurf- und Schießplatzes in der nahen Kyritz-Ruppiner Heide. Angesagt hatte sich unter anderem der damalige Sprecher der Initiative »Freie Heide«, Benedikt Schirge. Viele Teilnehmer waren gemeinsam nach Gadow gewandert, das an der Grenze des ehemals gesperrten Militärareals liegt.
Bürgermeister Jörg Gehrmann (parteilos) erinnerte an jenen 9. Juli 2009, als die Nachricht eintraf, dass der damalige Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) den Verzicht der Bundesregierung auf den Ausbau des Truppenübungsplatzes Wittstock bekannt gegeben habe. »Rückblickend beeindruckt es mich immer noch, wie sehr sich die Region seither befriedet hat«, sagte er dem »nd«. In der St.-Marien-Kirche in Wittstock sei seit Freitag eine Ausstellung zu sehen, die Aktivisten der Bürgerbewegung und zahlreiche Einwohner im Verlaufe des letzten Jahres zusammengetragen haben. »Dort können die Leute die Ereignisse von damals noch einmal in Ruhe Revue passieren lassen. Viele einheimische Besucher werden sich dort wiederfinden«, so der Bürgermeister. Die Laga werde sich sicher zum Multiplikator für den Fremdenverkehr entwickeln und gerade in den Ferien Touristen aus der nahen Müritz-Region anlocken, und auch Berliner Ausflügler haben hier ein neues Ziel gefunden.
Mit der Ausstellung hatte der Evangelische Kirchenkreis Wittstock-Ruppin den Verein Friedensscheune beauftragt. Sie war Auftakt einer ganzen Reihe von Wanderungen und Aktionen in und um Wittstock, mit denen an den friedlichen Protest gegen das »Bombodrom« erinnert wird.
In der kommenden Woche macht sich auch Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) anlässlich seiner alljährlichen Sommer-Tourismus-Pressefahrt in die Region auf. Nach der Landesgartenschau führt ihn diese Tour eben auch in die Kyritz-Ruppiner Heide. In ihrer Einladung dazu warf die Staatskanzlei einen Blick zurück in das Jahr 2009, als »mitten in die damalige Tourismus-Pressefahrt Seenland Oder-Spree die Nachricht platzte, dass die Bundeswehr nach jahrelangen friedlichen Protesten für die ›Freie Heide‹ auf die Nutzung des sogenannten Bombodroms zwischen Neuruppin und Wittstock verzichten wird«, heißt es da. Mittlerweile seien einige Wege in dieser größten Heidelandschaft Europas beräumt, habe der Landkreis Ostprignitz-Ruppin, unterstützt durch die Heinz Sielmann Stiftung und die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, bei Pfalzheim einen ersten Aussichtsturm errichtet.
Das militärische Erbe wird die Kyritz-Ruppiner Heide noch lange prägen. Weite Gebiete sind mit Munition belastet, an vielen Orten warnen Schilder, stehen Schlagbäume. Die alte Straße zwischen Gadow und Gühlen-Glienicke ist noch immer gesperrt. Im Süden geht es am besten voran, wo die Sielmann-Stiftung rund 4000 Hektar als »Nationales Naturerbe« bewirtschaftet. Im Norden arbeitet eine Initiative aus Zempow die Geschichte des Widerstandes auf. Nach Auflösung der Initiative »Freie Heide« in Brandenburg und der Aktionsgemeinschaft »Freier Himmel« aus dem mecklenburgischen Mirow soll dort ein Museum entstehen, das an den friedlichen Bürgerprotest erinnern wird. mit dpa
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