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Klima der Angst in den USA
Die US-Abschiebehörde ICE will bei Razzien in 10 Großstädten in den USA Migranten verhaften
Ana Maria kam vor ein paar Jahren aus Kolumbien in die Vereinigten Staaten. Sie arbeitete als spanisch sprechendes Au-Pair-Mädchen in den Vororten von Boston. Sie heiratete einen US-Amerikaner aus der Nachbarschaft, doch noch, bevor sie ihre Green Card erhielt, trennten sich die beiden wieder. Im vergangenen Jahr hat sie sich als Nanny durchgeschlagen, während sie sich für ein Spezialvisum bewarb, um im Land bleiben zu können.
»Kannst du dir vorstellen, wie ich lebe?«, fragt die 27-Jährige, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. »Du fragst dich immer ›Was werde ich tun? Wo werde ich leben? Sollte ich zurückgehen?‹« Die Angst von Ana Maria ist dieser Tage besonders groß, weil die Abschiebebehörde Immigration and Customs Enforcement (ICE) am Sonntag Razzien in migrantisch geprägten Vierteln von zehn Großstädten in den USA durchführen will. Deren Beamte verfügen teils über ähnliche Kompetenzen wie Polizisten.
Rund 10,5 Millionen Menschen leben ohne gültige Papiere in den USA. Für eine Million von ihnen hat die Regierung »finale Rückführungsbeschlüsse« - ein Euphemismus für Abschiebung - erwirkt. Donald Trumps Regierung will bei den Razzien 2000 Menschen festnehmen. Das ist genug, um ein Klima der Angst bei all denen zu erzeugen, die potenziell betroffen sein könnten.
Ana Maria musste sich vor Kurzem überlegen, ob sie zum Scheidungsgericht geht, um Unterhalt von ihrem Ex-Partner zu fordern. Denn das ICE hat in den vergangenen Monaten Papierlose festgenommen, als diese für ganz andere Zwecke vor lokalen Gerichten erschienen waren, etwa als Zeugen in Strafverfahren. Die Abschiebebehörde agiert, als lägen lokale Gerichte in ihrem Zuständigkeitsbereich, obwohl sie eine Bundesbehörde ist. Im April haben Bundesstaatsanwälte Klage gegen einen Bezirksrichter in Massachusetts erhoben. Der Vorwurf: Er habe einem Papierlosen geholfen, ICE-Beamten zu entkommen.
»Unsere Priorität ist die Verhaftung und die Entfernung von ungesetzlich anwesenden Ausländern, die eine Bedrohung für die nationale Sicherheit und die Grenzsicherheit darstellen«, heißt es in einer ICE-Pressemitteilung zu den Razzien am Sonntag.
Viele US-Amerikaner wollen, dass die Migranten im Land humaner behandelt werden. Sie sind in vielen Fällen vor Konflikten und Gewalt in Zentralamerika geflohen, einer Region mit einer Geschichte von US-Interventionen. Ein Bündnis von Gewerkschaften, Menschenrechtsaktivisten und anderen Gruppen organisierte am Freitagabend Mahnwachen in mehr als 600 Städten. Tausende beteiligten sich und forderten die Schließung der Internierungslager, in denen aktuell laut Angaben von Aktivisten rund 30 000 Immigranten inhaftiert sind. Städte wie Atlanta, San Francisco und New York, die sich zu »sanctuary cities« - zu Zufluchtsorten - erklärt hatten, kündigten Nichtkooperation und anwaltliche Hilfe für betroffene Migranten an. Auch Aktivisten versprachen Unterstützung und riefen zu Protesten auf.
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