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Ausreichend kontrollierte Kontrolleure
Bundesverfassungsgericht weist erneute Klage gegen die EU-Bankenunion ab
Europas Banken sollen sicherer werden, damit sie nie mehr mit Steuermilliarden gerettet werden müssen - so lautete eine der Lehren, die die EU-Politik aus der Finanzkrise 2007/8 ziehen wollte. Künftig müssten sich die Institute selber, ihre Eigentümer und Großkunden darum kümmern. Dadurch soll verhindert werden, dass systemrelevante Banken erneut viel zu riskante Geschäfte eingehen. Die tragende Säule bei der politischen Regulierung des Finanzsektors in der EU sollte eine neu zu schaffende Bankenunion bilden.
Das im Mai 2014 beschlossene Projekt war jedoch von Anfang an umstritten, vor allem in Deutschland. Kritiker unterschiedlichster Couleur zogen vor die Gerichte. Eigentlich schien längst alles klar zu sein. Mehrere höchstrichterliche Urteile von Bundesverfassungsgericht, Bundesgerichtshof und Europäischem Gerichtshof hatten verschiedene Teile der Bankenunion abgesegnet. Doch nochwerden Klagen abgearbeitet, etwa die aus dem Jahr 2014 von dem Juristen Markus Kerber, Professor für öffentliche Finanzwirtschaft an der Technischen Universität Berlin und Gründer der Arbeitsgruppe Europolis. Seine Kritik: Durch die Bankenunion erhalte die Europäische Zentralbank (EZB) zu viel Macht, deutsche Institutionen würden grundgesetzwidrig entmachtet.
Das sahen die Karlsruher Richter unter ihrem Präsidenten Andreas Voßkuhle ganz anders: Die Bankenunion sei rechtens und verstoße nicht gegen das Grundgesetz, urteilten sie am Dienstag. Voßkuhle hatte bereits während der mündlichen Verhandlung im vergangenen November klar gemacht, dass sein Gericht über juristische Fragen, nicht aber über die »Sinnhaftigkeit der Bankenunion« zu befinden habe.
Der »Sinn« hinter dem bis heute allerdings noch unfertigen Projekt: Um das Bankensystem stabiler aufzustellen, ziehen die Europäer bei der Aufsicht, der Abwicklung von kriselnden Kreditinstituten und der Sicherung von privaten Sparguthaben künftig an einem Strang. Bereits seit November 2014 beaufsichtigt die EZB die größten Banken und Bankengruppen im Euroraum, derzeit sind es 114 Geldhäuser, davon 19 in Deutschland. Zudem hat ein von der Kreditwirtschaft finanzierter Bankenabwicklungsfonds in Brüssel seine Arbeit aufgenommen. Er soll bis zum Jahr 2024 mit 55 Milliarden Euro ausgestattet werden. Bei der grenzübergreifenden Einlagensicherung gibt es aber weiterhin Vorbehalte. Man wolle nicht für marode Banken in Italien oder Griechenland aufkommen, lautet der Tenor in Deutschland. So lagen Ende 2018 die Quoten an faulen Krediten beispielsweise im deutschen Bankensektor bei 1,3 Prozent, hingegen in Italien bei 8,3 und in Griechenland sogar bei 41,2 Prozent. Die Verbände der hiesigen Genossenschaftsbanken und der Sparkassen halten es daher für verfrüht, jetzt über weitere Schritte bei der europäischen Einlagensicherung zu diskutieren. Stattdessen habe der weitere Risikoabbau in der Eurozone »oberste Priorität«.
Bei der Klage von Markus Kerber ging es hingegen um die bereits bestehenden Mechanismen. Wirtschaftsliberalen und konservativen Kritikern wie Europolis oder auch dem Centrum für Europäische Politik in Freiburg geht die europaweite Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB - mehr als 1000 Aufseher in Frankfurt am Main prüfen mittlerweile den Geschäftsbetrieb der Geldhäuser - entschieden zu weit. Auch wegen möglicher Interessenskonflikte: Die Aufgabe der Währungshüter sei die Gestaltung der Zinsen im Euroraum, von denen die Banken maßgeblich abhängen. So könnte die EZB etwa geneigt sein, eine Zinserhöhung aufzuschieben, um angeschlagene Banken nicht noch stärker in die Bredouille zu bringen. Gerade um solche Interessenskonflikte zu vermeiden, wurde ein von der Geldpolitik unabhängiges Kontrollgremium eingesetzt, das die Entscheidungen zur Bankenaufsicht für Mario Draghi und seinem EZB-Rat vorbereitet.
Durch diese besondere Konstruktion sei die Aufsicht »nicht vollständig« an die EU-Zentralbank übertragen worden, heißt es jetzt im Urteil der Verfassungsrichter. Sie habe nur die Kompetenzen übertragen bekommen, die »für eine kohärente und wirksame« Politik der EU in diesem Bereich »zwingend erforderlich« seien. Dies sei durch die EU-Verträge gedeckt. Die nationalen Aufsichtsbehörden wie die deutsche Bafin hätten weiterhin »umfangreiche Befugnisse« wie die Kontrolle von kleineren Kreditinstituten. Und die EZB stehe trotz ihrer Fülle an Aufgaben nach wie vor unter ausreichender Kontrolle durch EU und nationale Parlamente.
Ähnlich argumentiert Karlsruhe bei der Klage gegen den EU-Abwicklungsfonds. Hier gebe es einen unabhängig handelnden Ausschuss, dessen Rechenschaftspflichten gegenüber Parlamenten und Gerichten eine »hinreichende demokratische Steuerbarkeit« sicherstellten. Die Juristen um Kerber hatten bemängelt, dass die national erhobenen Gelder in den einheitlichen Fonds flössen, wodurch »die Bundesrepublik Deutschland vollständig die Kontrolle über den Einsatz der von Kreditinstituten innerhalb ihres Staatsgebietes aufgebrachten Abwicklungsressourcen verliert«, wie es im Plädoyer Kerbers heißt. Aus seiner Sicht hätten Bundesregierung und Bundestag der Übertragung derart weitreichender Kompetenzen nicht zustimmen dürfen. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dürften solche rechtlichen Einschätzungen endgültig vom Tisch sein.
Nicht vom Tisch sind die wirtschaftspolitischen Fragen, etwa, ob die Bankenunion in ihrer jetzigen Form überhaupt ausreicht, um die Finanzmarktstabilität zu gewährleisten. So kritisiert der Deutsche Gewerkschaftsbund, das im April vom Europäischen Parlament verabschiedete Regelwerk sei zwar ein nächster Schritt zur Vollendung der Bankenunion, »aber unterm Strich eher ein Schrittchen statt ein Meilenstein«.
So müssen Banken fortan jede Aktivität unabhängig vom Risiko mit eigenen Mitteln im Wert von drei Prozent des jeweiligen Geschäfts für mögliche Verluste hinterlegen. Aber bereits vor der Finanzkrise hatten europäische Banken eine solche Eigenkapitalquote. Die Krise hatte das nicht verhindert. Seitdem haben Banken ihre Kapitalpolster, auch regulatorisch verordnet, weiter ausgebaut. »Damit bleibt die neue verbindliche Eigenkapitalquote von drei Prozent ein stumpfes Schwert«, so der DGB in einer Studie seiner Volkswirte. Um Finanzstabilität zu gewährleisten, müsste die Quote bei mindestens zehn Prozent liegen. Der prominente Wirtschaftsprofessor Martin Hellwig fordert sogar eine noch höhere Quote, denn: »Eigenkapital sorgt für Haftung.« Wenn Verluste eintreten, werden sie zunächst von den Eigentümern getragen - ohne Konkurs und ohne Hilfe des Steuerzahlers.
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