Freie Fahrt für das Klima

Fahrgastverband fordert Umweltspur für Busse und Räder auf allen Hauptstraßen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Dem Vorstand des Berliner Fahrgastverbands IGEB ist der Geduldsfaden gerissen. »Der Öffentliche Personennahverkehr muss schnell attraktiver werden«, sagt dessen stellvertretender Vorsitzender Jens Wieseke zu »nd«. »Denn bis der viele Jahre dauernde Ausbau des Schienennetzes Angebotsausweitungen ermöglicht, müssen die steigenden Fahrgastzahlen in der wachsenden Stadt zunächst insbesondere durch zusätzliche und bessere Busangebote bewältigt werden«, heißt es in einer Mitteilung des Verbands. »Alle mehrspurigen Straßen mit Busverkehr müssen schnellstmöglich eine Umweltspur für Busse und Radfahrer bekommen«, fordert Wieseke.

Denn die Erfolgsbilanz von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) fällt in dieser Richtung bisher sehr mager aus. Einige hundert Meter zusätzliche Busspur für die Flughafenlinie TXL, mehr konnte sie für die Beschleunigung des öffentlichen Personennahverkehrs in der Hauptstadt bisher nicht erreichen. Von den geplanten neuen Straßenbahnstrecken ist bisher keine einzige planfestgestellt. Mehr als die Hoffnung, dass eine der Linien, eventuell die Verlängerung vom Hauptbahnhof zur Turmstraße oder vom S-Bahnhof Schöneweide nach Adlershof, noch vor den nächsten Wahlen im Herbst 2021 fertig werden, kann die Senatorin auch nicht äußern. Bis Jahresende sollen immerhin noch 20 Kilometer zusätzliche Busspuren eingerichtet werden, versprach Günther kürzlich.

Doch am Sonntag wurden zunächst Buslinien gekürzt, die Linie TXL wurde vom Flughafen Tegel kommend zum Hauptbahnhof zurückgezogen. Aus Sicht der BVG sei das konsequent, den Flughafenbus aus dem besonders staugeplagten Abschnitt zurückzuziehen, heißt es bei der IGEB. »Es ist aber auch ein Armutszeugnis für die Verkehrspolitik des Senats«, schreiben die Fahrgastvertreter. Auch, dass die Buslinie M48 nicht mehr den Alexanderplatz erreicht, sondern aus dem Südwesten kommend nun kurz hinter dem Potsdamer Platz Schluss ist, kritisiert der Verband.

Die Verkehrssenatorin begründete diesen Schritt mit der Reduzierung der Stickoxidwerte in der Leipziger Straße. »Die BVG geht verantwortungsvoll mit der Gesundheit der Bevölkerung um - im Gegensatz zur Autoindustrie«, sagte Günther im Juli.

»Wir glauben an unser neues Linienkonzept in Mitte«, sagt Petra Nelken, Sprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). »Aber natürlich brauchen wir auch mehr Busspuren.« Darüber sei man jedoch in guten Gesprächen mit dem Senat. Sinkt due Durchschnittsgeschwindigkeit um einen Kilometer pro Stunde müssen für die gleiche Beförderungsleistung 173 Fahrer und 70 Busse zusätzlich eingesetzt werden, hieß es bei der BVG im Januar.

»Die Busse werden immer langsamer und unzuverlässiger, die BVG muss immer mehr Busse einsetzen, um den Betrieb noch halbwegs aufrechtzuerhalten«, heißt es bei der IGEB. Seit Jahren sinkt die Durchschnittsgeschwindigkeit. Damit fehlten Fahrzeuge und Personal dort, wo sie für eine Angebotsausweitung und Taktverdichtung dringend gebraucht werden. »Wir machen keine Abstriche an den Plänen zum Straßenbahnausbau«, erklärt Wieseke. »Wir sehen einen attraktiven und schnellen Busverkehr als Brückentechnologie, bis die Neubaustrecken endlich kommen«, so Wieseke weiter.

Neben Busspuren fordert die IGEB auch eine konsequente Bevorrechtigung an Ampeln. Die Technologie ist an sehr vielen Anlagen vorhanden, die zuständige Verkehrslenkung Berlin (VLB) hat entsprechende Schaltungen jedoch zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 deaktiviert und in vielen Fällen seitdem nicht mehr wieder in Betrieb genommen. Der Bau sogenannter Kaphaltestellen ist die dritte Forderung zur Beschleunigung. Dabei wird der Bürgersteig am Haltepunkt bis zur Fahrspur vorgezogen, abfahrbereite Busse müssen nicht warten, bis sich Verkehrslücken ergeben.

»Es muss endlich konkret geliefert werden«, sagt auch Tilman Heuser, Geschäftsführer des Umweltverbandes BUND Berlin. »Auch wenn zunächst nicht die optimalste Lösung gefunden wird, sondern ein Kompromiss«, so der Umweltlobbyist. Da für neue Umweltspuren nur etwas Farbe auf die Straße gepinselt werden müsse, ginge das auch relativ kurzfristig, ist er überzeugt.

»Aus unserer Sicht ist in Verkehrsverwaltung und Verkehrslenkung zu wenig getan worden für die Busbeschleunigung«, sagt auch Kristian Ronneburg von der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. »Die BVG hat Wünsche für 100 Kilometer Busspuren eingereicht, es gibt also einen Grundstock, an dem man sich abarbeiten kann«, so Ronneburg. »Es fehlt an wirklichem Umsetzungswillen«, kritisiert er.

Auf eine schriftliche Anfrage von »nd« hat die Verkehrsverwaltung bis Redaktionsschluss dieser Seite nicht reagiert.

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