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Junge Generation Ost und West: »Die Unterschiede werden geringer«
Unter jungen Menschen, die nach 1989 geboren wurden, nehmen die Ost-West-Unterschiede in vielen Bereichen ab
Wiesbaden. Ihre Eltern tanzten zu unterschiedlicher Musik. Die einen trugen Halstücher der Jungen Pioniere, die anderen vielleicht die lila Halstücher der westdeutschen Friedensbewegung gegen den NATO-Doppelbeschluss. Die heute 15 bis 24 Jahre alten jungen Menschen in Deutschland kennen alte Bundesrepublik und DDR, den Kalten Krieg und das historische Wendejahr 1989 nur aus Geschichtsbüchern und aus den Erzählungen von Eltern oder Großeltern. Bedeutet das eine Chance für ein Leben ohne »Mauer in den Köpfen«, oder gibt es Unterschiede?
»Die Unterschiede werden geringer«, sagt Martina Gille, Soziologin und Wissenschaftlerin am Deutschen Jugendinstitut in München. In vielen Bereichen habe eine Angleichung der Einstellungen der jungen Menschen in alten und neuen Bundesländern stattgefunden. Wo es früher in Umfragen in Ostdeutschland noch geringere Zufriedenheit, Akzeptanz von Demokratie und Vertrauen in staatliche Institutionen gegeben habe, klaffen die Antworten in der Altersgruppe der jungen Menschen weniger auseinander als bei Älteren.
Dennoch, es gebe weiterhin Unterschiede, meint Gille. »Bei den jungen Erwachsenen ist festzustellen, dass die Berufsorientierung der jungen Frauen im Osten weiter vorne liegt, wenn es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht, dass sie früher in den Beruf zurückkehren und Vollzeit arbeiten.«
Auch das Wahlverhalten, die Einstellung zu Geflüchteten und Migranten weist noch in der jungen Generation Ost-West-Unterschiede auf. »Da spielt womöglich auch der Einfluss der Eltern eine Rolle«, vermutet Gille.
Fast 30 Jahre nach dem Fall der Mauer sind viele Rahmenbedingungen für die junge Generation jedenfalls deutlich besser geworden: Im vergangenen Jahr waren junge Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren so selten wie nie zuvor im wiedervereinigten Deutschland arbeitslos, wie das Statistische Bundesamt am Montag mitteilte. In Gesamtdeutschland lag die Arbeitslosenquote dieser Altersgruppe bei 6,2 Prozent. In den neuen Bundesländern betrug sie 8,6 Prozent, im alten Bundesgebiet 5,2 Prozent. Gleichzeitig erreichte die Zahl der Studierenden mit rund 2,5 Millionen einen Rekord.
Damit profitierten die jungen Menschen von der insgesamt günstigen Entwicklung am Arbeitsmarkt in diesem Zeitraum. Gleichzeitig sank allerdings die Arbeitslosenquote für alle 15- bis 64-Jährigen noch stärker, nämlich um nahezu zwei Drittel von 11,3 Prozent auf 3,5 Prozent. Ganz anders sah es noch im Jahr 2005 aus: Damals waren 15,2 Prozent der jungen Menschen in Deutschland ohne Arbeit.
Allerdings gibt es bei der Wahrnehmung der wirtschaftlichen Situation Ost-West-Unterschiede, fand eine bereits im Februar veröffentlichte Studie heraus, die von der Otto Brenner Stiftung gefördert wurde: Während nur 59 Prozent der jungen Ostdeutschen die wirtschaftliche Lage ihrer Region als gut einschätzten, sei das bei 74 Prozent der jungen Westdeutschen der Fall.
Auch sehen nur 46 Prozent der nach 1989 geborenen Ostdeutschen in der eigenen Region gute Chancen für sich selbst, während dies auf 57 Prozent der jungen Westdeutschen zutrifft. Allerdings gibt es sowohl im Osten wie im Westen ein Stadt-Land-Gefälle bei der Einschätzung der eigenen Lage, fanden die Autoren Rainer Faus und Simon Storks von der Berliner Forschungsagentur Pollytix heraus. Insgesamt blicke die Nachwendegeneration sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland recht zuversichtlich nach vorne. Wie die junge Generation im Osten auf Politik und Gesellschaft blicke, habe auch viel damit zu tun, ob sich die eigenen Eltern eher als Wendegewinner oder -verlierer erlebt hätten.
Faus und Storks kommen dabei zu der Schlussfolgerung: »Die vielzitierte 'Mauer in den Köpfen' gibt es auch in dieser Generation noch. Aber sie ist - sinnbildlich gesprochen - nicht mehr so hoch und fest zementiert wie in vorherigen Generationen.« dpa/nd
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