»Eine Mischung aus Wut, Frust und Verzweiflung«

Ende der Woche werden alle Deliveroo-Fahrer in Deutschland ihren Job verlieren. Ein Fahrer erzählt, wie sich das anfühlt.

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Essenslieferdienst Deliveroo hat am Montag bekanntgegeben, dass er sich Ende der Woche aus dem Deutschlandgeschäft zurückzieht. Wie hast du davon erfahren, dass du nach Freitag arbeitslos sein wirst?

Sam*: Per E-Mail von Deliveroo. Wir haben es auch erst am Montag erfahren. Ich war gerade bei einer Schicht und auf dem Rad unterwegs um Essen für sie auszuliefern. Es war um 12.38 Uhr. Ich weiß es noch genau, diese Uhrzeit hat sich bei mir eingeprägt. Das war irre. Ich dachte nur ›Scheiße, Schieße, Scheiße, das kann doch gar nicht wahr sein‹.

Kein Deliveroo-Essensdienst nach Freitag

Sam* hat ein Jahr lang für Deliveroo in Berlin gearbeitet. Ihn hat die Rückzugsankündigung des Essenslieferdiensts am Montag auf dem kalten Fuß erwischt. Am Freitag will das Unternehmen das Deutschlandgeschäft einstellen, dann will es sich auf ausländische Märkte fokussieren. Insgesamt werden mehr als 1000 Fahrer und Fahrerinnen in Deutschland davon betroffen sein.

Der 24-Jährige US-Amerikaner muss nun schauen, wo er unterkommt. In Deutschland lebt er erst etwas länger als ein Jahr. Weil er vor negativen Konsequenzen Angst hat, wollte er nicht mit echten Namen in der Zeitung stehen. Dieser ist der Redaktion aber bekannt.

Was heißt das für dich als Fahrer?

Das ist heftig. Für mich ist Deliveroo mein Haupteinkommen. Ich habe jeden Tag mindestens sieben Stunden gearbeitet, fünf Tage die Woche, Deliveroo hat meine Miete, mein Essen gezahlt. Ich habe so im Schnitt 350 Euro netto die Woche verdient, klar manchmal auch etwas weniger, aber meistens schon. Nach Freitag haben wir nichts mehr. Es gibt auch einige Fahrer, die eine Familie zu ernähren haben, die trifft das besonders hart. Wir bekommen noch eine Art »Ausgleichszahlung« für die zehn Tage nach Freitag, aber die ist sehr niedrig.

Wie viel Geld bekommt ihr?

Ich werde 178 Euro bekommen, andere bekommen auch mehr, manche aber auch weniger. Das ist zwar nett, aber ich denke sie hätten mehr tun können. Zum Überleben ist das ziemlich wenig. Das Problem ist, dass sich die Summe danach berechnet, wie viel wir als Fahrer in den vergangenen drei Wochen gearbeitet haben. Jetzt in der Sommerzeit waren aber einige weg, haben ein paar Tage frei gemacht - ich auch. Das heißt, ich habe weniger als normalerweise gearbeitet und bekomme weniger Ausgleichszahlung. Ich bin mir sicher, dass, wenn wir es gewusst hätten, die meisten von uns sogar noch einmal mehr gearbeitet hätten.

Ihr wart ja Selbstständige. Da muss man ja dennoch damit rechnen, dass es schnell vorbei sein kann, oder?

Ja, an sich schon. Aber die meisten von uns waren hier länger beschäftigt. Dass Deliveroo einfach ganz den Markt verlässt, das haben wir alle für sehr unwahrscheinlich gehalten. Und gerade jetzt kam das sehr überraschend. Noch in der Woche davor haben wir E-Mails bekommen, wo es hieß, dass es neues Equipment gibt. Neue Pullis, Socken, sogar Handschuhe. Und sie haben auch vor kurzem erst Updates der App und des Bezahlsystems gemacht. Seit kurzem konnte man sich auch zwischendrin sein Gehalt auszahlen lassen und nicht nur alle zwei Wochen.

Hast du gerne für Deliveroo gearbeitet?

Auf der einen Seite ja, natürlich. Ich bin erst kurz vorher aus den USA nach Deutschland gekommen und es war eine gute Option, Fuß zu fassen. Ich habe ohne große Sprachkenntnisse Geld verdient und war flexibel. Auf der anderen Seite, naja, sie haben ehrlich gesagt nicht so viel auf uns Mitarbeitende gegeben. Ich hatte einmal einen Fahrradunfall und das einzige, was sie interessiert hat war, ob ich das Essen trotzdem ausliefern kann. Obwohl es das Versprechen gab, dass man die Fahrradreparatur gezahlt bekommt, habe ich davon nie etwas gesehen. Ich denke, sie haben auch die Situation ihrer ausländischen Fahrer ausgenutzt.

Inwiefern?

Viele von uns Fahrern sind Migranten und Migratinnen. Wir haben keine tollen Sprachkenntnisse und kennen uns auch kaum mit dem deutschen Sozialversicherungssystem aus. Ich habe dieses eine Jahr jetzt nichts in die Rentenkasse eingezahlt, was ich scheinbar hätte freiwillig tun können. Und Deliveroo kennt seine Fahrer, Hilfe zu dem Thema Absicherung haben wir aber nie bekommen. Ich lerne im Moment immer noch, wie man in Deutschland selbstständig ist.

Glaubst du, dass du es schaffst, in den nächsten zwei Wochen einen neuen Job zu finden? Und würdest du zu dem Konkurrenten Lieferando wechseln?

Naja, also mir geht es schon erst mal um ein fixes und stabiles Einkommen. Aber wenn nichts anderes geht, ja. Ich denke, wenn ich ein wenig herumfrage, werde ich etwas finden. Aber es ist echt nicht besonders viel Zeit. Die Situation fühlt sich schon nicht besonders gut an. Es ist eine Mischung aus Wut, Frust und Verzweiflung. Aber ich versuche das jetzt irgendwie als Chance zu sehen.

In Frankreich oder Spanien gab es bereits erste erfolgreiche Klagen gegen Deliveroo wegen Scheinselbstständigkeit. Wie siehst du das?

Ja, das ist interessant. Und ich könnte mir so etwas auch in Deutschland vorstellen. Wir Rider haben jedenfalls nichts mehr zu verlieren.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.