Hakenkreuze sollen der Bildung dienen

In dem Computerspiel »Berlin 1936« kann man Adolf Hitler auf der Höhe seiner Macht spielen

  • Katharina Schwirkus
  • Lesedauer: 6 Min.

»Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt«, tönt es aus den Lautsprechern, auf dem Bildschirm sind Schwarz-Weiß-Bilder von Berlin im Jahr 1936 zu sehen. Überall hängen Fahnen mit Hakenkreuzen, große Staturen von Adolf Hitler sind an den Straßenrändern und auf großen Plätzen aufgestellt. Dies ist die Kulisse eines Computerspiels mit dem Namen »Berlin 1936«. Vom 14. bis 22. August konnte jede*r das Spiel zum Preis von 16,79 Euro auf der Homepage von »Steam«, einer der größten Vertriebsplattformen für Videospiele weltweit, kaufen. Seit dem 22. August ist es für Nutzer*innen aus Deutschland nicht mehr möglich, »Berlin 1936« zu erwerben. Seither prüft das Gremium der Bundesbehörde für jugendgefährdende Medien das Game, erfuhr »nd« von dem Herausgeber des Spiels, Mac El Oliver.

Wie dieser gegenüber »nd« erklärt, soll »Berlin 1936« jungen Menschen unter 25 Jahren zeigen, wie die Hauptstadt zur Zeit der ersten Austragung der Olympischen Spiele in Deutschland aussah. Es solle »eher eine virtuelle Dokumentation, als ein Renn- oder Ballerspiel« sein, so El Oliver weiter. In dem Spiel gibt es nur eine Rolle, die eingenommen werden kann: die von Adolf Hitler. Als Begründung für diese Entscheidung führt El Oliver an, dass Hitler derjenige war, der die Olympischen Spiele eröffnete und dies das zentrale Ereignis des Spiels sei.

Wie es sich anfühle, in Hitlers Schuhe zu schlüpfen, sei für jeden anders. »Manche fühlen sich für einige Momente erhaben, andere eingeschüchtert, wenn nicht sogar abgestoßen vom Gesamtkontext. Aber das soll jedem selber überlassen bleiben«, führt El Oliver aus. Das Spiel solle den Nationalsozialismus keinesfalls verherrlichen. »Der Konsens über die moralische Unvertretbarkeit der darauf Folgenden Ereignisse dürfte jedem klar sein«, so der Herausgeber zu »nd«.

Hitlergruß ist zentrales Element

Christoph Wichmann, Geschäftsführer von »Team Vertex«, einer jungen ESport-Organisation mit Sitz in Deutschland, hat »Berlin 1936« mit Jonas Walter, Geschäftsführer von » Gaming-Grounds.de«, einem deutschsprachigen Onlinemagazin, getestet. Nach ihrer Spielerfahrung gibt es nur wenige zur Verfügung stehende Funktionen: Neben der simplen Bewegung der Spielfigur ließen sich auf Knopfdruck das Wetter, Tageszeit und die Hintergrundmusik anpassen. Hinzu kommt als einziges noch die Option, den Hitlergruß zu zeigen. Hebt Hitler die Hand, tun ihm dies alle umstehenden Personen gleich.

»Fast in jedem Spielausschnitt der begrenzten Spielwelt sind mehrere Hakenkreuze zu erkennen«, berichtet Wichmann dem »nd«. Walter ergänzt: »Trotz der simplen Darstellung und Umsetzung entdeckten wir während des Tests zahlreiche technische Probleme und Fehler.« So sei es beispielsweise möglich, durch Gebäude und Autos zu laufen. Der Herausgeber El Oliver sagt gegenüber »nd«, dass »jeder Spieler mindestens einen Fakt lernen wird, der ihm unbekannt war«. Wichmann und Walter erklären, dass damit die Option im Spiel gemeint sein muss, sich Hintergrundartikel zu Gebäuden auf Wikipedia durchlesen zu können.

Steht man vor einem geschichtsträchtigen Gebäude, erscheint ein rotes Feld und die Option »Abrufen des Wikipedia Artikels«. Ob man den Artikel wirklich abruft, bleibt aber der spielenden Person überlassen. Wichmann und Walter kommen zu dem Fazit, dass das angebliche aufklärerische Ziel des Spiels durch »die aktive Möglichkeit zum Hitlergruß und die deutliche Überrepräsentation von Hakenkreuzen« unglaubwürdig ist. Bei dem Game handelt es sich aus ihrer Perspektive »lediglich um eine überteuerte Form von verherrlichtem Nationalsozialismus«.

Einfluss auf Jugendliche

Inwiefern sind solche Spiele für Kinder und Jugendliche problematisch? »Nicht jeder Jugendliche lässt sich von Parolen in Spielen beeinflussen, weil die Spielmotivation zunächst einmal Unterhaltungs- oder Freizeitgestaltung sein kann«, sagt Kristin Langer, Mediencoach der Bundesinitiative »SCHAU HIN!«, gegenüber »nd«. Zudem würden Jugendliche ihre bereits erworbene Haltung nicht einfach über Bord werfen, weil sie ein neues Game spielen. Langer gibt jedoch zu Bedenken, dass sehr junge Jugendliche oder jene, die Adolf Hitler noch nicht kennen, durch das Spiel in ihren Ansichten beeinflusst werden könnten. Zudem könnte es problematisch sein, wenn Jugendliche das Game unbegleitet spielten - sprich: wenn weder die Eltern noch andere Bezugspersonen der Spielenden von den Inhalten wüssten.

»SCHAU HIN!« wird vom Bundesministerium für Familie, ARD, ZDF und der Zeitschrift TV Spielfilm gefördert. Eltern können sich dort Hilfe suchen, wenn sie sich unsicher sind, ob ihr Kind zu viel Zeit mit Medien oder fragwürdigen Medieninhalten verbringt.

Eltern, die feststellen, dass ihre Kinder »Berlin 1936« oder andere Games spielen, die zum Beispiel wegen der Verherrlichung von Gewalt problematisch sein könnten, empfiehlt Langer, im Gespräch mit den Kindern zu bleiben. Auch ein gemeinsames Spielen könnte sinnvoll sein. Die Eltern oder andere Bezugspersonen könnten dann über Fehldarstellungen aufklären.

Verbote helfen nicht

Von Verboten rät Langer ab: »Wenn ich genau weiß, was mein Kind mit dem Spiel macht, ist es eventuell nicht nötig, das Spiel zu verbieten.« Sollten sich Eltern dennoch dafür entscheiden, ein Spiel zu verbieten, könnte sie die gesetzliche Altersbeschränkung des Spiels oder eine pädagogische Altersempfehlung als Argument nutzen, sofern es eine gibt. Diese werde von Experten vergeben und mitunter nicht so infrage gestellt wie die Regeln der eigenen Eltern. Auf allen Videospiel-Plattformen gibt es mittlerweile Sicherheitseinstellungen, welche die Eltern anpassen können, bevor das Kind die Seite besucht. Auf »Steam« gibt es zudem eine »Family Option«, erläutert Langer.

Der Herausgeber von »Berlin 1936« erklärt gegenüber »nd«, das Spiel hätte »Potenzial für die Bildung« von Jugendlichen. Mediencoach Langer begrüßt es grundsätzlich, wenn Computerspiele in der Schule thematisiert werden. »Für Eltern ist es hilfreich, wenn in der Schule über aktuelle Spiele gesprochen wird«, erklärt sie. Schüler würden sich über solche Unterrichtsinhalte freuen und die Diskussion über ein Spiel könnte dazu führen, dass sie einen kritischen Geist entwickelten.

Dass »Berlin 1936« überhaupt auf der deutschen Seite von »Steam« angeboten wurde, liegt vermutlich daran, dass die Plattform keine umfassenden Kontrollen durchführt. Nach Paragraf 86 des Strafgesetzbuches könnte das Spiel in Deutschland verboten werden. Dieser besagt, dass der Handel und die Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen verboten sind. Zudem sind solche Symbole untersagt, die »nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen«. Dazu gehören natürlich das Hakenkreuz und der Hitlergruß, die im Spiel etliche Male gezeigt werden. »Grundsätzlich müssen sich Spielentwickler und Spielvertriebe an die gesetzlichen Regelungen halten, die in Deutschland gelten«, sagt Langer.

Im Laufe der Recherche von »nd« wurde der Verkauf des Spiels in Deutschland zunächst eingestellt. Bis dahin ist es laut Herausgeber fast 60 Mal in der Bundesrepublik verkauft worden.

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