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Journalisten jagen: 500 Euro
Viereinhalb Jahre nach Angriffen eines rechten Mobs bei Legida wird doch noch ein Täter verurteilt
Das Landgericht Leipzig hat am Freitag einen Teilnehmer einer Legida-Demonstration verurteilt, der 2015 an einer Hetzjagd auf Journalisten beteiligt war. Wegen Nötigung erhielt der 34-jährige Ricco W. aus Leipzig eine Geldstrafe von 20 oder 25 Tagessätzen zu je 20 Euro - die Angaben des Gerichts und der Staatsanwaltschaft unterscheiden sich in diesem Punkt. Maximal macht das 500 Euro.
Mit dem Urteil endete ein Berufungsverfahren. Das Besondere daran: Die Staatsanwaltschaft hatte es anberaumt, nachdem das Amtsgericht W. 2018 zunächst freigesprochen hatte.
Die Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe von 125 Tagessätzen beantragt und Ricco W. neben Nötigung auch vorsätzliche Körperverletzung und Sachbeschädigung vorgeworfen. Diese Tatbestände bestätigte das Landgericht in seinem Urteil vom Freitag jedoch nicht. Zeugen hatten beobachtet und ausgesagt, dass der betroffene Journalist bei der Flucht vor dem rechten Mob gestürzt war. Der Verfolger soll dem Flüchtenden vor dessen Sturz außerdem von hinten gegen die Beine getreten haben. Der Fotograf war dadurch leicht verletzt worden und an seiner Kamera war laut Medienberichten ein Schaden von mehreren Hundert Euro entstanden.
Offiziell liege zwar noch keine Urteilsbegründung vor, doch laut Gerichtssprecher Jagenlauf erkannte das Gericht wohl keine »vorsätzliche« Handlungsweise, die den Sturz und dessen Folgen herbeiführte. Da nur eine teilweise Verurteilung erfolgt ist, prüfe die Staatsanwaltschaft jetzt die Möglichkeit der Revision, sagte Oberstaatsanwalt Ricardo Schuld dem »nd«.
Der Berliner Fotojournalist Björn Kietzmann, der vor Gericht als Zeuge ausgesagt hatte, bewertet das Verfahren mit gemischten Gefühlen: »Es ist gut, dass die Staatsanwaltschaft den nicht nachvollziehbaren Freispruch der ersten Instanz angefochten hat«, sagte er dem »nd«. Dass es mehr als viereinhalb Jahre bis zur Verurteilung gedauert hat, sendet jedoch »ein falsches Signal«. Denn »eine zunächst oder komplett ausbleibende Strafverfolgung ebenso wie milde Urteile und Freisprüche stärken Neonazis in ihrem Glauben, ihr Handeln werde von der Gesellschaft akzeptiert, und es ermutigt zur Nachahmung«, so Kietzmann.
Die Angriffe bei dem Legida-Aufmarsch im Januar 2015 waren laut der »Leipziger Internetzeitung« von Mitgliedern der Hooligan-Szene ausgegangen. Legida steht für die rassistischen und rechtsextremen »Leipziger Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes«. Am Ende der Demonstration am 21. Januar 2015 war rund ein Dutzend Vermummter gleichzeitig auf Pressevertreter losgestürmt. Dies wirkte laut Augenzeugenberichten wie einstudiert. Auch ein Sprecher der Leipziger Polizei, Alexander Bertram, bestätigt auf nd-Anfrage, es sei eine »gezielte Aktion« aus dem rechten Lager gewesen. Diese habe sich nicht in erster Linie gegen Journalisten, sondern vielmehr gegen »linke Journalisten« gerichtet, meint Bertram.
Dass der wegen Körperverletzung mehrfach vorbestrafte Ricco W. sich überhaupt vor Gericht verantworten musste, ist Antifa-Recherchen zu verdanken. »Ausgerechnet die Antifa hat ... Leipzigs Polizei vorgeführt - und einen gesuchten Legida-Gewalttäter womöglich auf eigene Faust ermittelt«, hatte sich die »Bild« im April 2016 lustig gemacht. Erstmals öffentlich aufgetaucht war der Name von Ricco L. auf der autonomen Plattform »linksunten.indymedia«.
Bei den Legida-Aufmärschen kam es regelmäßig zu Beleidigungen, Bedrohungen und Übergriffen - nicht nur auf Medienleute aus dem linken Spektrum. Erst eine Woche vor der Hetzjagd war beispielsweise die MDR-Reporterin Ine Dippmann, angegriffen worden. Damals wurden mindestens 13 Anzeigen gestellt. Andere betroffene Journalisten verzichten aus Sicherheitsgründen jedoch auf eine Anzeige, da sie die Erfahrung gemacht haben, dass im Rahmen von Gerichtsprozessen ihre Daten teilweise bei Neonazis landen.
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