Schule als Werbebanner

Warum dürfen Schüler eigentlich Litfaßsäulen für ein Unternehmen sein?

  • Roberto J. De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein kleinerer Skandal kocht dieser Tage hoch: Die Firma Autodoc, ein Onlinehändler für Autoersatzteile, soll laut »Tagesspiegel« (der sich auf die »New York Times« beruft), Nähe zum rechtsradikalen Milieu pflegen. Die Firma stritt dies ab, gab aber zu, dass es vor zwei Jahren wohl Autodoc-Werbebanner auf sechs schwedischen Portalen mit rechtsextremen Hintergrund gab. Als man das erfuhr, habe man die Anzeigen sofort gestoppt. Dieser an sich unspektakuläre Vorfall wurde nur prominent, weil Autodoc 34.000 Warnwesten für Berliner Erstklässler sponserte. Nachdem die Geschichte publik wurde, haben die Behörden die Aktion mit den Westen sofort gecancelt. Das war natürlich eine Nachricht wert.

Die Angelegenheit ist tatsächlich ein Skandal. Weil ein Unternehmen mutmaßlich rechte Verbindungen hat? Weil die Behörden gleich abspringen, wenn nur ein Verdacht im Raum ist? Nein, deswegen nicht. Der Skandal beruht auf einer ganz anderen Betrachtung des Vorfalls. Warum eigentlich müssen sechsjährige Kinder Litfaßsäulen für ein Unternehmen sein? Und warum zum Henker stellen Kommunalpolitiker das als alltägliche Routine hin?

Kurz bevor im »Tagesspiegel« jene Vorwürfe erschienen, trafen sich die Schulsenatorin und die Geschäftsführer von Autodoc zu einem Fototermin. Sie hielten zwei Westen in die Kamera, das Logo natürlich gut lesbar ausgerichtet. Die Senatorin lächelt verkniffen. Im Hintergrund eine Kinderschar, die die Arme in die Luft reckt, als würde sie jubeln. Die Kleinen sind fröhlich – deswegen wirbt man mit ihnen ja so gerne. Wenn man es genau bedenkt, ist dass ein perverses Zeugnis einer Republik, die sich gar nicht mehr geniert, zwischen Staat und Wirtschaft oder zwischen Werbung und Lehrauftrag zu unterscheiden.

Solche kleinen PPPs (Public Private Partnerships) im Bildungssektor oder bei der Kinderbetreuung im vorschulischen Alter sind gar nicht so selten. Sie kommen jeden Tag in diesem Land vor. Kreditinstitute bieten als Service Sparbüchsenleerungen an, sponsern die Pausenhofgestaltung oder finanzieren Sportgeräte. Versicherungsriesen werten ihre sozialen Skills auf und organisieren Sommerfeste – laden dabei aber natürlich die Presse ein, denn es wäre ja schade und für die Katz‘, wenn keiner davon erführe. Lokale wie überregionale Firmen verteilen gemeinhin kleinere Gaben.

Die Bertelsmann-Stiftung sprach sich schon vor langer Zeit für die Etablierung der Ökonomie als Schulfach aus. Dass die selbstredend die Weisheiten des Marktliberalismus vertreten sollte, konnte nun wirklich keiner anzweifeln. Der Bundesverband Investment und Asset Management e.V. (BVI) hat vor einigen Jahren eine Broschüre für Schüler ausgegeben, die bald ins Berufsleben treten. Dort wurde unter anderem erklärt, »wie Märkte funktionieren«. Dass das nicht der nachfrageorientierte Blick auf die Dinge war, konnte man sich ja denken. Zumal die Währungskrise in der Broschüre zur Staatsschuldenkrise umgedeutet wurde.

Auch diese immateriellen Bezuschussungen des Bildungswesens sind missbräuchliche Verbindungen zwischen der Schule, die ein Ort der unbeeinflussten Wissensbildung sein sollte, und wirtschaftlichen Interessen, denen es bloß um die Mehrung eines speziellen, für das eigene Geschäft nützliche Wissen geht.

Die Schulen sind im Würgegriff der Wirtschaft. Letztere nutzt Schulen als Rekrutierungsstellen und als Werbesäulen. Die Schule ist gewissermaßen die billigste Imagekampagne, die ein Unternehmen kriegen kann. Denn Kinder irgendwie zu unterstützen: Das kann doch nicht schlecht sein. Wenn die Kleinen dann älter werden, geht es nicht mehr nur um das Firmenimage. Dann heißt es rekrutieren, die Heranwachsenden auf Kurs bringen, sie für den Markt gewinnen oder als Kunden stabilisieren.

Man musste noch gar nicht wissen, was Autodoc vorgeworfen wird, um den ersten Skandal schon zu wittern: Den Missbrauch der Schule als Werbeanzeige. Über den spricht man leider kaum und immer weniger. Denn dann müsste man auch über die Unterfinanzierung des Schulwesens sprechen. Und darüber, »wie Märkte funktionieren« und wie sie uns ruinieren. Um da bloß nicht auf Abwege zu geraten, hat die BVI eine Broschüre im Repertoire …

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