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Yalla Yalla Antifascisti!
Bewegt euch! über Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte als eine politische Antwort auf Rassismus und Rechtsruck.
Jahrzehntelang haben sich Geflüchtete und Migrant*innen für ihre Rechte, gegen den Rassismus des Alltags und der Institutionen, gegen Angriffe von rechts organisiert - eine Geschichte vieler kleiner und großer, oft aber unsichtbar gemachter Erfolge und Kämpfe. Jahrzehntelang haben Antifaschist*innen gegen Nazis gekämpft. Ob Ost, ob West... Zur gleichen Zeit war es die sogenannte »Mitte« der Gesellschaft, ihre Parteien und Organisationen, die oftmals nichts von beidem wissen wollte: Eine »Mitte«, die hauptsächlich darauf bedacht war, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Vielleicht nicht mit schlagzeilenmachender Gewalt, aber mit Schweigen und Wegsehen gegenüber einem System von Abschiebeknästen, Gutscheinsystemen, Residenzpflicht, rassistischen Sonderparagraphen bis hin zum staatlich unterstützem Naziterror.
Vom Neofaschismus wollten alle am liebsten schweigen oder ihn als das Werk ein paar »ewig Gestriger« gemeinsam mit Bundes- und Landesregierungen dämonisieren und dabei für faktisch tot erklären. Am liebsten aber schwiegen alle zum Rassismus. Migrant*innen, Antifas und radikale Linke haben in Deutschland mindestens eine Sache gemeinsam: Ihnen hört niemand zu, obwohl sie oft die Wahrheit sagen.
Zum Beispiel Kassel: 2006 demonstrierten nach der Ermordung von Halit Yozgat seine Angehörigen mit mehreren Tausend Menschen aus vorwiegend migrantischen Communities unter dem Motto »Kein 10. Opfer!« gegen die Mordserie des NSU, der zu diesem Zeitpunkt noch unter dem Aktenzeichen »Dönermorde« bei der Polizei lief. Im gleichen Kassel wurde dieses Jahr der Regierungspräsident Walther Lübcke erschossen – von einem stadtbekannten Nazi aus eben jener Kasseler Naziszene, die nicht nur für den NSU eine wichtige Rolle spielte, sondern von deren Mordlust schon am Anfang der Nuller Jahre Antifas im ganzen Bundesland überzeugt waren und eindringlich warnten.
Mitte 2019 - wo stehen wir?
Im Jahr 2019 stehen nun viele vor den Trümmern einer sich bisher für aufgeklärt und endgültig entnazifiziert haltenden Gesellschaft. Sie sind erschüttert, weil teilweise ein Drittel der Gesellschaft das wählt, was sie bereits für tot hielten. Nazis und ihre Freund*innen jagen täglich Menschen durch die Straßen und zünden ihre Häuser an, aber niemand scheint zu wissen, wo diese Massenbasis rechter Gewalt auf einmal herkommt. Die Erschütterung darüber ist ernst gemeint, der Wille etwas zu tun häufig da. Aber jetzt stellt sich die Frage: Was denn? Woher kommt der Rechtsruck? Wer den Rassismus und den neuen Faschismus nicht versteht, kann ihn schließlich auch nicht bekämpfen.
Bei der Frage, wie der Rechtsruck verstanden und vielleicht sogar aufgehalten werden kann, müssen die sprechen, die etwas dazu zu sagen haben, und zwar nicht erst seit gestern. Dann muss endlich denen zugehört werden, die wissen, was Rassismus ist, wie man sich gegen rechte Gewalt organisiert - und wie man nicht nur gegen etwas kämpft, sondern für etwas, für eine Solidarität, die seit Jahren in den Netzwerken, in den lokalen und bundesweiten Strukturen existiert. Eine Solidarität, die keine einfache Worthülse ist, aber auch keine bloße Überlebensstrategie. Sondern eine recht konkrete Zukunftsvision.
Vor allem muss aber eine Erfahrung gehört werden, die viele nicht gerne hören wollen: Rassismus ist eine Kontinuität in Ost und West, vorgestern, gestern und heute. Er hat fließende Übergänge in den ganz normalen Nationalismus und wird täglich von staatlichen Institutionen ins Werk gesetzt und reproduziert. Er ist nicht bloß eine politische Position von Rechtsradikalen, sondern ein soziales Verhältnis, dass die Gesellschaft sortiert. Eine Praxis, die an Hand von Staatsbürgerschaft, Hautfarbe und Herkunft soziale Rechte verteilt, vorenthält, Menschen in Lager sperrt. »Nazis morden, der Staat schiebt ab..« - Auch diese Parole verbindet die seit Jahrzehnten, denen jetzt die Mikros gehören sollten.
Nationale Privilegien oder globale soziale Rechte?
Ist es die ungelöste soziale Frage, die Menschen zu Nazis macht? Die Dynamik nach rechts verschlimmert sich in der Krise, soziale Verunsicherung macht empfänglich für die immer gleiche Leier, dass Migration ein Verbrechen und an allem Elend Schuld sei. Aber die einfache Rechnung geht nicht auf, dass soziale Probleme von heute auf morgen aus normalen Bürger*innen Nazis machen - und es daher nur einer anderen Sozialpolitik bedarf. In der Krise kommt zum Vorschein, was schon lange da ist. Der stille Gehorsam und der ganz normale Rassismus wandeln sich in der Krise in einen aggressiven Zorn. Ein Zorn, der sich nicht zuletzt in einer Endlosschleife darüber empört, dass Migrant*innen etwas vom nationalen Kuchen abbekommen.
Man sollte sich daher nicht vertun: Der Ruf nach dem Ausschluss der »Anderen« hat einen rationalen Kern, eine brutale Gemeinsamkeit mit staatlicher Politik. Ein verkümmerter Sozialstaat hat Errungenschaften der vergangenen Jahrhunderte erfolgreich von rechts umgedeutet: An die Stelle der Demokratie stellt er das exklusive Recht der Staatsbürger*innen - und erkämpfte soziale Rechte werden darin zu nationalen Privilegien, die es gegen den Rest der Welt und nur durch ihren Ausschluss zu verteidigen gilt. Die soziale Frage kann eben auch von rechts gestellt und beantwortet werden – nämlich als Frage nach dem Niveau nationaler Privilegien innerhalb eines unangetasteten globalen Kapitalismus und erwirtschaftet auf dem Rücken des globalen Südens. Und nach dem Preis, den man bereit ist zu zahlen, um diese Privilegien aufrecht zu halten. Erst durch die Entscheidung für eine globale oder eine nationale Perspektive bekommt eine Antwort auf die soziale Frage einen wirklichen politischen Sinn.
Migration als Demokratisierung
Eine Antwort auf den neuen Faschismus muss diesen Zusammenhang ernst nehmen. Sie muss die soziale Frage global stellen und in globaler Absicht beantworten: Für alle, bedingungs- und unterschiedslos. Auch hier, im lokalen oder nationalen Rahmen, wo Migration diese Frage innenpolitisch repräsentiert. Und sie muss dabei denen zuhören, für die der ganz normale Rassismus seit Jahrzehnten ein Normalzustand ist und nicht etwas, das mit der AfD kommt und geht. So könnte der Zusammenhang von Rechtsruck und Normalzustand, von Rassismus und Entrechtung klar gemacht und zum Ausgangspunkt eines sozialen Antifaschismus werden. Gegen die AfD und Pegida, aber auch gegen die Lager und die Entrechtung.
Doch ebenso bedeutsam ist: Die Kraft der migrantischen Kämpfe ist gestern wie heute die wichtigste Ressource im Kampf gegen rechts. Sie stellen der AfD und dem rassistischen Normalzustand die Unteilbarkeit sozialer und politischer Rechte entgegen. Darin sind Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte die Antwort auf den Festungskapitalismus, aber auch auf die AfD. Die Kämpfe der Migrationwirken als eine Kraft der Demokratisierung. Im Westen wie im Osten.
Dieser Text ist Teil der»nd«-Debattenserie »Bewegt euch!«.
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