Demokraten formieren sich

Mit Konzerten, Petitionen und Streik wollen Initiativen Sachsens linke Kräfte stärken.

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.
Die »WannWennNichtJetzt«-Tour in Neuruppin
Die »WannWennNichtJetzt«-Tour in Neuruppin

Eine Woche vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg. Die Republik schaut nervös auf den Osten. Wahlprognosen werden im Stundentakt veröffentlicht, jedes Wort liegt auf der Goldwaage. Die progressive Zivilgesellschaft nutzt die Aufmerksamkeit für ein Aufbäumen. Zehntausende werden diesen Samstag zur Großdemonstration des »Unteilbar«-Bündnisses in Dresden erwartet. Die Parade für eine »solidarische, offene und freie Gesellschaft« ist der Höhepunkt einer monatelangen Mobilisierung. 283 Bewegungen, Organisationen, Vereine, Parteien und linke Gruppen haben auf diesen Tag hingearbeitet. Es gilt, sich Mut für alles Kommende zu machen; sich in der versammelten Vielfalt besser kennenzulernen - und ein politisches Angebot zu unterbreiten. Ein Gegenangebot zum Status quo, vor allem aber zur programmatischen Hetze der AfD. Ihr zu erwartender Machtzuwachs wird mit oder ohne Regierungsoption eine Zäsur darstellen.

Besonders in Sachsen fürchten viele Demokraten einen Dammbruch. Hier gilt die CDU zumindest in den mittleren und unteren Rängen als relativ offen gegenüber einer Koalition mit der AfD. Die Rechtsaußenpartei könnte generell stärkste Kraft werden, im östlichen Landesteil erwartet sie zahlreiche Direktmandate. Mehrere Initiativen haben die Gefahr erkannt und nach Gegenstrategien gesucht.

Eine kleine Auswahl: Die von »Unteilbar« unterstützte Markt- und Konzerttour »WannWennNichtJetzt« führt von Juli bis Oktober durch zwölf ostdeutsche Städte. In Sachsen machte sie in Zwickau, Plauen, Bautzen und Annaberg-Buchholz halt, kommendes Wochenende wird noch in Grimma gefeiert. Die Besucherzahlen mögen mit jeweils einigen Hundert Teilnehmern überschaubar geblieben sein, doch darum geht es den Veranstaltern nicht primär. Sie wollen eine längerfristige Vernetzung progressiver Projekte im ländlichen Raum vorantreiben. Und den Menschen Aufmerksamkeit verschaffen, die die Provinz noch nicht aufgegeben haben. Daran gemessen haben sie Erfolg.

Einige Mitglieder der Linkspartei, der Grünen und der SPD haben darüber hinaus die Initiative »Umkrempeln« gestartet. Sie werben für ein rot-rot-grünes-Bündnis als Regierungsalternative zu CDU sowie AfD. Rund 1500 Personen unterstützen das Vorhaben mit einer Online-Petition. Die Parteimitglieder geben jedoch selbst zu, dass die Prognosen in den meisten sächsischen Orten derzeit ein solches Bündnis kaum realistisch erscheinen lassen. Der Initiative dürfte eher an einer längerfristigen Wegbereitung gelegen sein.

In eine andere Richtung geht das Projekt »Zukunft Sachsen«. Hier will man eine Regierungsbeteiligung der Rechtsaußenpartei verhindern, indem man für eine Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen wirbt - die aus Sicht der Initiatoren einzige »realistische Option«. Durch taktisches Wählen sollen entsprechend Direktmandate der AfD verhindert werden. Die Initiative gibt sich als »überparteilich«, doch ist ihre Stoßrichtung fragwürdig. Sie verweigert nicht nur der Linkspartei als relevanter fortschrittlicher Kraft im Osten die Unterstützung, sondern setzt letztlich auch auf die CDU. Eine Partei, die in ihrer Regierungspolitik der vergangenen Jahrzehnte jene autoritären sächsischen Verhältnisse geschaffen hat, die der Zivilgesellschaft kaum Luft zum Atmen lassen.

Studenten drohen derweil mit einem Bildungsstreik im Herbst, sollte die AfD an die Macht kommen. Der Leipziger Student*innenrat hat mit großer Mehrheit einen entsprechenden Beschluss verabschiedet. Die Rechtsaußenpartei stört sich bekanntermaßen an den Gender Studies und der Zivilklausel an den Universitäten. Die Initiative »wirstreiken« ruft zum General- und Sozialstreik auf, falls Verhandlungen zur Regierungsbildung mit der AfD aufgenommen werden sollten. Plakate hängen in verschiedenen Großstädten. Die Ankündigung kann vor allem als symbolisches Druckmittel auf die CDU angesehen werden.

Die sächsische Vernetzung der bundesweiten antifaschistischen Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative« gibt sich indes mit einer Kritik an der AfD nicht zufrieden. Die Aktivisten wenden sich auch gegen eine bürgerliche Politik von Ausbeutung und Abschottung. »Vaterlandslose Gesellen, Zecken, Staatsfeinde und sonstige Querulanten« werden aufgerufen, sich vom 26. bis zum 30. August an einer Aktionswoche zu beteiligen. Man könne dort dem »Begehren nach einer vernünftig eingerichteten und selbstverwalteten Gesellschaft« Ausdruck verleihen, »gegen die AfD agieren«, an den Sozialabbau und die Abschiebepolitik durch R2G etwa in Thüringen erinnern, oder der CDU zeigen, »dass sie keine Immunität gegen antifaschistische Interventionen genießt«. Einen Vorgeschmack lieferten Dresdner Antifaschisten am Freitag. Aktivisten in weißen Maleranzügen brachten an der Eingangstür des CDU-Kreisverbands ein Transparent an. Die Aufschrift: »Eure Heimat ist unser Alptraum. Antifaschismus- und Antirassismuskoalition statt Werte-Union.«

Wie die Wahlen auch ausgehen mögen - nach den Abstimmungen und erwartbaren Reaktionen wird die öffentliche Aufmerksamkeit für den Osten wohl wieder zurückgehen. Die Züge und Busse der »Unteilbar«-Demonstranten sind dann längst zurückgekehrt. Ein Erfolg wäre schon, wenn bei einigen hängen bleibt: Die ostdeutsche Zivilgesellschaft braucht langfristig Sichtbarkeit und Unterstützung. Juristisch, finanziell, politisch und medial. Und selbst, wenn gerade keine Wahlen, Gedenkjahre oder rassistische Ausschreitungen stattfinden.

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