Noch mehr am Riemen reißen
WM: Die deutschen Ruderer schwächeln auf dem Weg nach Tokio
Zum Abschluss hat es auch noch den Frauen-Achter erwischt. Als Vierter und Letzter des Hoffnungslaufes verpasste er gestern das Finale bei den Ruder-Weltmeisterschaften in Ottensheim (Österreich)- nicht überraschend allerdings, so wie ein paar andere deutsche Boote, die derzeit nicht mit den Besten der Welt mithalten können.
Doch für Cheftrainer Ralf Holtmeyer nennt die Zwischenbilanz »ziemlich enttäuschend«, trotz der souveränen Auftritte des Männer-Achters und von Oliver Zeidler im Einer: Sechs Frauen-Boote verpassten die direkte Olympia-Qualifikation, dazu der Männer-Zweier ohne - damit sind die Hälfte der Quotenplätze für die Spiele 2020 erst einmal weg.
Beim Weltcup im kommenden Jahr in Luzern gibt es zwar die Möglichkeit zur Korrektur, aber Holtmeyer will sich nicht darauf verlassen, dass es bei der Nachqualifikation besser klappt. Er sieht Handlungsbedarf. Die Skullerinnen, ist er zuversichtlich, hätten in dieser Saison viel Pech mit Verletzungen und Krankheiten gehabt, die würden die Scharte wohl im kommenden Sommer auswetzen.
Aber im Riemenbereich der Frauen muss einiges auf den Prüfstand. Es scheint so, als hadere Holtmeyer mit dem Training am Riemen-Stützpunkt Potsdam: Das müsse »aufgrund des Überehrgeizes neu eingestellt« werden. Sich mit modernen Methoden zu beschäftigen, hält der Cheftrainer zwar grundsätzlich für gut.»Aber es muss zusammenpassen«.
Das eine ist die rein sportliche Analyse, für die Holtmeyer sowie die einzelnen Trainer zuständig sind, das andere ist das System. International, sagt Achter-Steuermann Martin Sauer, habe sich in den vergangenen zehn Jahren viel getan. Am Anfang seien die Voraussetzungen in der Weltspitze ziemlich die gleichen gewesen. »Aber mittlerweile sind unsere Gegner fast alles Profi-Athleten, die entsprechend trainieren und zentralisiert sind«, sagt er. »Bei uns ist das so Zwischending«. Und deshalb »kämpft man da nicht mehr Augenhöhe«, findet Sauer, trotz der Erfolge des Paradebootes, das seit Olympia 2016 nur ein Rennen verloren hat, die Windregatta im Juli in Rotterdam.
Großbritannien hatte nach dem Zuschlag für die Sommerspiele 2012 in London begonnen, den Spitzensport zu reformieren - und viel Geld in das Projekt gesteckt. Die Athleten bekamen eine monatliche Finanzspritze, um sich ganz auf ihren Sport konzentrieren zu können, und im Rudern profitieren noch immer einige Boote davon. Andere Nationen hätten nachgezogen, sagt Sauer. »Neuseeländer, Australier, Rumänen und Italiener sind in so einem System.« Da seien zwar »keine Millionen zu verdienen«, weiß der 36 Jahre alte Berliner, aber es reiche ja schon, wenn sie wie in England, »2000 Pfund im Monat bekommen«, mit der Vorgabe, das Studium ruhen zu lassen, solange sie Rudersport betreiben.
Die deutschen Achter-Ruderer profitieren zwar von einem Sponsor, aber die Summe, die jeder Athlet am Ende des Jahres bekommt, reicht nicht fürs Leben. »Bei uns ist immer klar, alle sind in erster Linie Studenten und müssen ihr Leben nach dem Rudern während des Ruderns sichern«, sagt Sauer. Im deutschen Paradeboot sitzen nur zwei Athleten, die nicht an einer Universität immatrikuliert sind. Schlagmann Hannes Ocik gehört der Sportfördergruppe der Polizei, und Laurits Follert überlegt gerade, den gleichen Weg einzuschlagen. Sauer selbst ist eigentlich längst fertiger Jurist, aber in den Beruf kann er erst einsteigen, wenn mit dem Rudern Schluss ist - nach Tokio 2020.
Deutschlands Medaillenhoffnung Zeidler plant auch erst einmal bis Olympia, gut möglich, dass er danach seine Ruderkarriere, die erst vor drei Jahren begann, schon wieder beendet. Der Oberbayer absolviert gerade ein duales Studium und sein Arbeitgeber war bisher entgegenkommend - er stellte ihn bis nach der WM in Ottensheim frei. Ob es nach Tokio weitergeht, ist für Zeidler »davon abhängig, wie die finanzielle Situation ist.« Im Gegensatz zum Achter hat er noch keinen Sponsor. Eine WM-Medaille würde bei der Suche vermutlich helfen.
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