- Brandenburg
- Landtagswahl in Brandenburg
Mehrheiten wichtiger als Inhalte
SPD will mit CDU koalieren, wenn diese ihren Streit beilegt. Deren Chef Senftleben springt ab
»Wir müssen reden«, wissen Diana Golze und Anja Mayer. Sie bilden die Doppelspitze der Linkspartei in Brandenburg. Die Partei ist bei der Landtagswahl am 1. September von 18,6 auf 11,7 Prozent abgestürzt. »Wir können und wollen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen«, steht in einem Brief an die rund 5500 Mitglieder im Landesverband. Die sollen jetzt Termine von Mitgliederversammlungen und Kreisvorstandssitzungen mitteilen. »Wir kommen gerne zu euch. Denn, wir müssen reden, uns austauschen, Argumente anhören, um zu einer gemeinsam getragenen Wahlauswertung zu kommen«, sagen Golze und Mayer. »Dies wird nicht unter Zeitdruck geschehen, da uns alle Meinungen dazu wichtig sind.«
Den Auftakt gab es quasi bereits am Sonnabend. Landesvorstand und Landesausschuss tagten parteiöffentlich in der Aula des Potsdamer Humboldt-Gymnasiums. Parteiöffentlich bedeutet: Journalisten und andere Außenstehende durften nicht hinein, aber alle Genossen. Es wurde dort »ruhig und sachlich« miteinander gesprochen, hieß es anschließend. Es fiel das Stichwort »Stabilität«. Das ist entscheidend in diesen Tagen. Denn in dieser Woche werden die Parteien in weiteren Gesprächen sondieren, wer mit wem Koalitionsverhandlungen aufnimmt. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ist mit dem Hinweis auf die seiner Ansicht nach nötige Stabilität der künftigen Landesregierung offensichtlich eine Koalition mit CDU und Grünen am liebsten, weil die SPD mit ihnen zusammen auf 50 Sitze im Landtag kommt. Rot-Rot-Grün hätte mit 45 von 88 Mandaten nur die denkbar knappste Mehrheit im Parlament.
Bei den Sondierungen in der vergangenen Woche betrieb die SPD Geheimniskrämerei und drängte auch den anderen Parteien dieses Verhalten auf. Nicht einmal der Ort der Treffen wurde vorher offiziell mitgeteilt, und hinterher verlautete nichts als ein paar Floskeln über die vertrauensvolle Atmosphäre, in der man sich miteinander unterhalten habe. Es entstand der Eindruck, als gehe es der SPD nicht um die Inhalte, die sich mit dieser oder jener Koalition besser oder schlechter durchsetzen lassen, sondern allein um eine möglichst komfortable Mehrheit der Mandate.
Doch die CDU kann ihre 15 Stimmen nicht glaubhaft komplett zusichern, solange der rechte Flügel um die Abgeordneten Frank Bommert und Saskia Ludwig rebelliert. Der Landes- und Fraktionsvorsitzende Ingo Senftleben zog am Freitag Konsequenzen und ließ mitteilen, er werde am kommenden Dienstag von beiden Ämtern zurücktreten. Als kommissarischer CDU-Landeschef ist der Bundestagsabgeordnete Michael Stübgen vorgesehen. Damit ist aber noch nicht geklärt, wie der Machtkampf in der Fraktion ausgeht.
Davon, auch mit welcher »Geräuschkulisse« das stattfinde, macht SPD-Generalsekretär Erik Stohn das weitere Vorgehen seiner Partei abhängig. »Das hängt von der CDU ab, wie wir mit der CDU weiterreden«, erklärte Stohn am Wochenende.
Einstweilen braucht Stohn als Reservevariante Rot-Rot-Grün. Denn nur darüber möchte die LINKE verhandeln. Bei einer anderen der rechnerisch möglichen Koalitionen will sie nicht mitmachen. LINKE-Landeschefin Anja Mayer meint: »Die CDU ist im Moment kein stabiler Partner für die Bildung einer Regierung, und ich finde, dass ihr zum Teil auch die Strategie fehlt.« Der neue Linksfraktionschef Sebastian Walter stellt klar: »Wir können Opposition und Regierung.«
Im Landesverband herrscht momentan spürbar wenig Lust, sich nach zehn Jahren Rot-Rot weitere fünf Jahre in die Regierungsarbeit zu stürzen und dann bei der Landtagswahl 2024 vielleicht noch einmal Verluste hinnehmen zu müssen. Sich Gesprächen mit der SPD gleich zu verweigern und die Chance auf linke Politik damit zu vergeben, so leicht wollen es sich die Genossen aber auch nicht machen. Die LINKE steckt in dieser Frage in einer Zwickmühle.
Landesvorständler Martin Günther hat jetzt Thesen und Vorschläge, wie ein Aufbruch organisiert werden könnte, auf vier Seiten zusammengefasst. Ihm geht es unter anderem darum, Mitglieder zu gewinnen, damit der Landesverband nicht stirbt. Unter den 76 000 Brandenburgern, die 2014 und jetzt wieder die LINKE gewählt haben, müssten doch welche sein, die man aktivieren könne, denkt Günther. Er sagt auch: »Eine Anbiederung an die AfD stärkt nur das Original. Wir brauchen da weiterhin klare Kante.«
Die Freien Wähler wollen überhaupt keine klassische Koalition, wie ihr Landesvorsitzender Péter Vida erklärte. Er schlug ein neues Modell der Zusammenarbeit vor, das Schnüren »thematischer Kooperationspakete«. Das läuft auf ein Regieren mit wechselnden Mehrheiten hinaus.
Es ist schwer vorstellbar, dass sich Ministerpräsident Woidke darauf einlässt - höchstens vielleicht als Ergänzung zu einer Koalition mit einer knappen Mehrheit, die sich durch die fünf Stimmen der Freien Wähler von Fall zu Fall ein kleines Polster verschaffen könnte. mit dpa
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.