Handyliebe

Selbst die ältesten Omas und Opas hat das Smartphone-Fieber gepackt, stellt Oliver Kern fest

  • Lesedauer: 3 Min.

In Shenzhen lieben die Leute ihr Smartphone - ohne geht es hier offenbar gar nicht mehr. Ich bin gestern Morgen in der Metro mal von einem Ende zum anderen durchgelaufen und habe gezählt. Mehr als 200 Menschen saßen auf den Bänken links und rechts, und nur zwei von ihnen hatten gerade kein Telefon in der Hand.

Das soll gar keine Kritik sein, ich hänge ja ebenfalls ständig am Handy, und in Deutschland ist das Phänomen auch sehr verbreitet. Aber die flächendeckende Abhängigkeit finde sogar ich ziemlich auffällig. Selbst die ältesten Omas und Opas schauen lieber aufs Gerät, anstatt sich miteinander zu unterhalten. Gestern entriss ein etwa vierjähriges Mädchen in der Metro seiner Mutter das Smartphone. Mamas Daddeln ist ihr wohl zu viel, dachte ich erst. Doch weit gefehlt: Die Kleine wollte nur ein paar Selfies machen.

Beim Aussteigen aus der Bahn steckt auch nur die Hälfte das Smartphone ein. Ein junger Mann vor mir auf der Rolltreppe spielte lieber weiter ein Fantasy-Ballerspiel - und hätte an ihrem Ende beinahe auf der Nase gelegen. Die Füße stoppten abrupt, der Rest des Körpers schoss nach vorn, und ich konnte dem sekundenlang Strauchelnden nur mit Mühe ausweichen. Als er sich gefangen hatte, spielte er sofort weiter. Die Ansage in der Metro, zur eigenen Sicherheit beim Laufen nicht aufs Handy zu starren, hatte er anscheinend überhört.

Am späten Abend wurde ich dann auch noch Opfer der hiesigen Smartphone-Hörigkeit. Die letzte Bahn zum Apartment war weg, also rief ich mir ein Taxi. Ich gab dem Fahrer die Adresse, und er diktierte sie in sein Smartphone. Nach zehn Minuten meinte seine Navigations-App, wir seien am Ziel angelangt. Das könne nicht stimmen, versuchte ich ihm mit Händen und Füßen klar zu machen. Ich wohne doch nicht im Park, sondern in einem Hochhaus, und das ist hier bei all den Bäumen nicht zu sehen. Doch der Taxifahrer ließ sich nicht beirren. Ich müsse hier nur kurz um die Ecke, und dann würde ich mein Haus schon sehen. Er nahm mein Geld, ließ mich aussteigen und düste ab. Ich schaltete mein Navi ein - noch 1,5 Kilometer bis nach Hause. Und wie in einem schlechten Film fing es auch noch an zu regnen.

Doch der Ärger verflog schnell, denn es war ein schöner Landregen, der langsam stärker wurde, bis meine Sachen komplett durchnässt waren - angesichts der Hitze hier sehr angenehm. Ich konnte es einfach genießen. Die Chinesen, an denen ich vorbeilief, stellten sich derweil lieber unter - und starrten auf ihre Handys. Vielleicht wollten sie nachsehen, wann der Regen wieder aufhört. Er sollte die ganze Nacht dauern.

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