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- Italiens neue Regierung
Scharfer Wind aus Norditalien
Contes neue Regierung wird von Süditalienern dominiert, es droht ein Verteilungskampf
Matteo Salvini, Parteichef der rechtspopulistischen Lega und bis vor kurzem noch Vizepremier und Innenminister, hat sich klar verrechnet: Im Sommerloch wollte er die Regierung stürzen und selbst in den Palazzo Chigi einziehen. Nun jedoch muss er erleben, dass eine ungeliebte Koalition aus 5-Sternebewegung (M5S) und dem sozialdemokratischen Partito Democratico (Pd) unter Giuseppe Conte die Geschicke des Landes weiterführen will.
Die Lega findet sich auf der Oppositionsbank wieder und hat drastisch an Wählergunst verloren. Zwar ist sie derzeit in Umfragen mit etwa 30 Prozent noch stärkste Einzelpartei, doch längst nicht mehr so unumstritten wie noch vor wenigen Wochen. Die Parteien der Regierungskoalition, M5S und Pd, legen zu und haben zusammen ebenso viel Zuspruch wie die Opposition - wobei Salvini weiter an Zustimmung verliert. Hohes Vertrauen hingegen haben die Italiener in Giuseppe Conte, der gerade seine zweite Amtszeit antritt.
Doch der neuen Koalition bläst ein scharfer Wind aus dem Norden ins Gesicht. Denn die italienische Wirtschaftslokomotive zieht in den Regionen Piemont, Lombardei und Venetien voran, und diese werden allesamt von der Lega regiert.
Während landesweit das Bruttosozialprodukt pro Kopf bei etwa 28 700 Euro liegt, zeigt sich der Norden deutlich effektiver: In der Lombardei wird ein Pro-Kopf-BIP von 38 200 Euro, in Venetien von 33 100 Euro und im Piemont von 30 300 Euro angegeben. Von den von mitte-links regierten Regionen sticht nur die Emilia-Romagna mit einem Bruttosozialprodukt von 35 300 Euro hervor.
Der Mezzogiorno liegt weit abgeschlagen, nach wie vor eher landwirtschaftlich geprägt, sind die Regionen Apulien, Kampanien, Kalabrien, Basilicata und Sizilien mit einer hohen Arbeitslosenrate und geringer Produktivität das wirtschaftliche Schlusslicht des Landes. Auch die neue Exekutive Contes wird Entwicklungspläne für den Süden erarbeiten müssen, die einhergehen mit einem deutlichen Geldtransfer aus den reichen Nordregionen. Doch genau dieses dürfte den von der römischen Opposition beherrschten Wirtschaftsgebieten nicht gefallen. Verweigern die Nordregionen die Hilfe und könnte die Opposition entsprechende Gesetzentwürfe in den Parlamentskammern zu Fall bringen, dürfte dies der gelb-roten Regierung erhebliche Schwierigkeiten bereiten.
Nebst dem aus Apulien stammenden Regierungschef Giuseppe Conte kommen zwölf Minister aus dem italienischen Süden. Herausragendes Gesicht ist Außenminister und M5S-Spitze Luigi Di Maio aus Avellino in Kampanien. Innenministerin Luciana Lamborgese stammt aus der Basilicata. Allerdings diente sie vor ihrem Ministeramt als Präfektin von Mailand und kennt sich daher mit den Gepflogenheiten des Nordens auch gut aus. Das Justizressort wird vom Sizilianer Alfonso Bonafede geleitet. Wirtschafts- und Finanzminister Roberto Gualtieri ist als Römer sozusagen ein Vertreter der italienischen Mitte. Die Ressorts Kultur, ökonomische Entwicklung, Transport und Digitalisierung werden von »Nordministern« geführt. Hier schwingt die Hoffnung mit, dass diese die Unterstützung ihrer Regionen erhalten und somit die bevorstehenden Konflikte mildern könnten.
Wirtschaft, Arbeit und Migration werden wohl die umstrittensten Themen der neuen Koalition sein. Nach der Vertrauensabstimmung im Abgeordnetenhaus am Montagabend (nach Redaktionsschluss) dürfte etwas mehr Klarheit in Rom herrschen, inwieweit die neue Exekutive handlungsfähig ist. In der Debatte am Nachmittag hatte Conte eine »neue Ära der Reformen« in Aussicht gestellt. Zudem kündigte er eine weniger harte Migrationspolitik und einen kritischen, aber konstruktiven Dialog mit der EU an. Die politische Agende der Woche sieht dann am Dienstag die Abstimmung im Senat und am Mittwoch ein Statement von Staatspräsidenten Sergio Mattarella vor.
Selbst wenn die neue Administration unter Conte diese Woche mit Bravour bewältigen sollte, sind die Schwierigkeiten nicht aus dem Weg geräumt. Conte Vertrauensbonus im Wahlvolk ist zwar im stetigen Steigen begriffen, doch Umfragen zufolge glauben 52 Prozent der Italiener derzeit, dass dieser Regierung nur ein Überleben von einigen Monaten beschert sein wird. Es wird am neuen Kabinett liegen, die Wähler vom Gegenteil zu überzeugen. Verlierer Salvini rüstet indes schon zum Gegenschlag: Am 15. September findet der traditionelle Aufmarsch der Lega in Pontida statt, für den 19. Oktober hat Salvini seine Anhänger zu einer Art »Marsch auf Rom« aufgefordert. Der politische Herbst in Italien bleibt heiß.
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