Vor Erdogans Gericht

Der österreichische Journalist Max Zirngast über persönliche Erwartungen an eine politische Entscheidung

  • Svenja Huck
  • Lesedauer: 5 Min.

Herr Zirngast, mit welcher Erwartung gehen Sie in die zweiten Sitzung Ihres Prozesses, die ein Jahr nach Ihrer Verhaftung stattfindet?

Eine weitere Vertagung ist wahrscheinlich. Bei Prozessen dieser Art ist das üblich. Unter Umständen könnte meine Ausreisesperre aufgehoben werden. Das hätte dann in erster Linie mit meinem Status als Ausländer zu tun.

Der erste Termin fand schon im April statt. Was wären die Gründe für eine weitere Vertagung?

Vertagungen sind in der Türkei üblich. Die Gründe sind meist technisch, zum Beispiel weitere Beweisaufnahme, Anhörung der Verteidigung oder Anhörung der Anklage. Solche Prozesse in die Länge zu ziehen hat natürlich die Auswirkung, dass Unsicherheit und prekäre Lage fortbestehen. Das bedeutet eine permanente Einschränkung oder Bedrohung, die ja auch politische Opposition behindern.

Neben Ihnen sind auch noch Hatice Göz, Mithatcan Türetken sowie Burçin Tekdemir angeklagt, die türkische Staatsbürger sind. Inwiefern teilen Sie Erfahrungen und Erwartungen während des Prozesses?

Im Grunde sind ihre Erwartungen nicht anders als meine. Seit der Inhaftierung von Hatice, Mithat und mir waren alle Maßnahmen gegen uns völlig identisch. Da ich involviert bin, könnte die Ausreisesperre von allen aufgehoben werden, aber vielleicht gilt das dann doch nur für mich.

Sie dürfen bisher das Land nicht verlassen, doch auch Ihr Aufenthaltsstatus ist nicht eindeutig geregelt. Mit welchen Einschränkungen ist das für Sie verbunden?

Mein Rechtsstatus ist nicht wirklich klar. Ich habe und bekomme keinen Aufenthaltstitel, darf aber nicht ausreisen. In Folge dessen kann ich weder mein Masterstudium wieder aufnehmen, noch habe ich eine Versicherung. Auch mein Bankkonto kann nur eingeschränkt benutzen. Im Alltag herrscht permanente Unsicherheit, ob dieser prekäre Status nicht doch zu Problemen führen kann.

In der Anklage wird Ihre journalistische und politische Arbeit kriminalisiert. Sind Sie deshalb seit dem Beginn des Prozesses vorsichtiger geworden?

Ja und nein. Im Grunde war ich auch davor schon vorsichtig, wobei das in erster Linie manche Wortwahl betrifft. Im Großen und Ganzen ist ja alles, was ich schreibe und mache völlig legitim und grundsätzlich auch legal. Aber in der Türkei gilt es selbstverständlich genau aufzupassen. Zum anderen denke ich jetzt öfter über Formulierungen nach.

Nach Ihrer Verhaftung wurde spekuliert, dass die türkische Regierung vermehrt ausländische Journalisten verhaftet, um die EU zu erpressen. Hat sich diese Vermutung bestätigt?

In der Türkei hängt das immer von der jeweiligen Konjunktur ab. Im Moment ist das Regime nicht so erpicht darauf, mit allen möglichen Ländern einen Streit anzuzetteln, was sicher auch mit der misslichen ökonomischen Lage und der fragilen geopolitischen Situation zu tun hat. Aber es gilt niemals den Fehler zu machen, das Handeln von Staaten und ihren Vertreter*innen zu überrationalisieren. Das gilt besonders auch für die Türkei.

Seit dem Sieg der CHP bei den Regionalwahlen in Ankara und Istanbul sowie den Spaltungen innerhalb der AKP ist die Regierung angeschlagen. Könnte das Auswirkungen auf Prozesse gegen Oppositionelle haben?

Das Bild der AKP mag zwar angekratzt sein, ihr Nimbus der Unbesiegbarkeit zerstört, aber das heißt noch lange nicht, dass in der Türkei jetzt blühende demokratische Zustände heraufziehen. Es besteht weiterhin die Möglichkeit eines noch repressiveren, autoritären Regimes und despotischen Staates, ebenso wie die Möglichkeit eines popular-demokratischen Bruchs.

Hinzu kommt auch der Widerstand innerhalb der Justiz gegen des massiven Einfluss des Präsidentenpalastes. Da Ihre Anklageschrift recht substanzlos ist, könnte ein personeller Wechsel im Gerichtssaal am Ende entscheidend für das Urteil sein?

Relevanter als eine personelle Veränderung wäre eine Veränderung des politischen Klimas. Immer wieder hat man den Eindruck, dass Richter*innen gerne anders entscheiden würden, aber aufgrund indirekten oder direkten Drucks das nicht können. Wenn sich das politische Klima verändert, dann könnten wir durchaus mehr mutige Entscheidungen im Sinne politisch Angeklagter sehen. Nach dem das Verfassungsgericht entschied, dass die Friedensakademiker*innen keine Terrorpropaganda betrieben, sondern von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht haben, wurden schon einige von ihnen freigesprochen.

In Deutschland und Österreich wurde die »Free Max Zirngast« Solidaritätskampagne organisiert- sogar ein Buch mit Ihren Texten wurde veröffentlicht. Wie viel haben Sie davon in Ankara mitbekommen?

Von dem Buch sehr viel, weil ich an dessen Herausgabe nach meiner Entlassung beteiligt war. Die Hochphase der Kampagne war klarerweise nach meiner Festnahme und als ich im Gefängnis war. Davon habe ich nur bedingt aus Briefen, aus den Gespräche mit meinen Eltern und meinen Anwälten erfahren.

Die Aufhebung der Ausreisesperre würde eventuell auch eine sofortige Ausweisung bedeuten. Wären Sie froh, das Land verlassen zu können?

Ich wäre in erster Linie froh, mich frei bewegen zu können und wieder einen Rechtsstatus zu bekommen. Ich bin gerne in der Türkei, aber wenn man erzwungenermaßen bleiben muss, dann ist das weniger toll.

Haben Sie Pläne für den Fall, dass Sie nach wie vor in der Türkei bleiben müssen?

Eine der wichtigsten Lektionen des Gefängnisses ist es, auch unter widrigen Umständen und Einschränkungen das Beste aus den vorhandenen Möglichkeiten zu machen. Obwohl ich gerne in der Türkei bin, kann ich momentan nichts längerfristig planen.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.