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»Wir müssen weiterträumen«

Frauen suchten Austausch und Vernetzung auf einem feministischen Kongress in Essen

  • Lea Schönborn, Essen
  • Lesedauer: 4 Min.

Eine ältere Frau mit lockig-rotem Haar erklärt einer Freundin am Telefon, wo sie sich gerade befindet. »Das ist so ein feministischer Kongress, wie heißt das nochmal genau?« Sie guckt mich fragend an. Ich flüstere ihr zu: »Feminist Futures Festival.«

Die Freundinnen der älteren Frau setzen sich dazu. »Ich kam mir lange vor, als wäre ich als ältere Frau radikaler als die jungen Leute«, sagt Marion (65). »Aber jetzt ändert sich was.« Gerade sei da etwas in Bewegung, meinen auch die anderen Frauen, die mit ihren grauen Haaren und ihren Softshell-Jacken und Wander-Rucksäcken an diesem Wochenende im Zeche Zollverein in Essen auffallen. Marion ist durch die Auseinandersetzung mit der Hexenverfolgung zum Feminismus gekommen. Ihre Freundin Lotta (72) durch Demonstrationen gegen Gewalt gegen Frauen. Beide stehen der Lesbenbewegung nahe. Sie sind also vor allem feministisch unterwegs, haben aber auch eine anti-kapitalistische Grundhaltung. Ihnen ist es wichtig, dass »die Kämpfe zusammengeführt werden«. »Die Klimakrise ist ja auch patriarchalische Scheiße«, sagt Marion. Darum geht es an diesem Wochenende: sich vernetzen und die Zusammenhänge der verschiedenen Kämpfe erkennen.

1500 Feminist*innen und Feminismus-Interessierte aus 30 Ländern kamen in Essen zusammen. Das Festival war die größte feministische Zusammenkunft in Deutschland seit Jahrzehnten. Es gab mehr als 100 Veranstaltungen. Diese reichten von Tanz-Workshops über Podiumsdiskussionen bis hin zum solidarischen Protest mit der Unteilbar-Demo in Essens Stadtteil Steele.

Laura ist 23 und studiert. Sie ist vor allem hergekommen, um von anderen zu lernen. Laura hat an einem Workshop teilgenommen, bei dem Aktivist*innen der Organisation »Southeners on New Ground (SONG)« von den Herausforderungen an eine feministische Bewegung im Süden der USA erzählt haben. Der Organisation geht es darum, intersektionalen Feminismus zu machen, der für alle zugänglich ist. SONG bietet zum Beispiel Treffen zu verschiedenen Zeiten und Tagen an, so dass nicht nur Akademiker*innen, sondern auch Schicht-Arbeitende oder Eltern anwesend sein können. »Ich habe gemerkt, dass Aktivismus so vielseitig sein kann, wie die Menschen, die ihn ausüben«, sagt Laura. »Das hat mir Lust gemacht, auch selbst aktiver zu werden.« An diesem Wochenende wird immer wieder deutlich, wie wichtig Vernetzung ist.

Eine Gruppe von Rentner*innen macht Radfahrpause in der Sonne im Zollverein Zeche in Essen. Dies scheint der typische Radtour-Ausflugsort an einem Samstagnachmittag zu sein. Nur tönt im Hintergrund diesmal: »What do we want? Feminist Futures. When do we want it? Now.« Ein älterer Radfahrer fordert seine drei Begleiterinnen auf, die Parolen der Solidaritätskundgebung mitzurufen. Eine sagt: »Ich weiß doch gar nicht, worum es geht.« Sie schaut mich an. Ich erkläre es ihr. Sie sagt: »Da bin ich solidarisch bei euch. Aber ich muss gleich weiterradeln.«

Weiter gesprochen wird derweil bei einer Podiumsdiskussion zur Feminisierung von Politik. »Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich damit verbracht habe, YouTube-Videos von Angela Merkel anzuschauen«, meint Dorothy Semu. Semu ist Politikerin. Sie habe viel davon gelernt, anderen Politikerinnen beim Reden zuzuschauen. In Essen gibt es endlich mal die Möglichkeit, sich mit anderen Politiker*innen direkt auszutauschen. »In der Politik sind wir Frauen sind wie unter einem Mikroskop: Wir werden genauestens beobachtet und für jeden kleinen Fehler beurteilt.«

Sandra Morán ist eine weitere Frau in der Diskussionsrunde. Sie ist Politikerin in Guatemala. Noch dazu ist sie lesbisch und links. Und damit definitiv eine Ausnahme im guatemaltekischen Kongress. Sie sagt, dass sie und andere Frauen in der Politik in Guatemala Wege finden müssen, um zu überleben. Und das meint sie wortwörtlich. Es verschwinden immer wieder Frauen in Guatemala. Morán hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, dass die Suche nach verschwundenen Frauen binnen 72 Stunden begonnen werden muss. Das wertet sie als großen Erfolg.

Morán appelliert an die jungen und alten Feminist*innen im Raum: »Lasst uns gemeinsam träumen, wie unser Land aussehen soll.« Die Zustände in Lateinamerika sind Teil der globalen Machtstrukturen. Sie sind Teile des großen Ganzen. Und gehen deshalb alle etwas an. Morán fügt hinzu: »Lasst uns träumen, wie unsere Zukunft aussehen soll. Denn, wenn wir träumen, fangen wir an zu handeln.«

Das Feminist Futures Festival hat einen Raum für Austausch ermöglicht. Und das über Generationen, Länder- und Geschlechtergrenzen hinweg. Die Hoffnung ist nun, dass dieses Wochenende Ausgangspunkt für weitere vernetzende Aktionen sein wird.

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