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Der erlegte Drache
Klimaschutz und Altersarmut, Bergbau und Tourismus: Ein Besuch in Finsterwalde.
Es ist 5 vor 12 für das Klima«, sagt Micheal Wolf. In Turnschuhen spricht der Pfarrer auf einer Bühne in Finsterwalde. Ausnahmsweise nicht vor seiner Gemeinde, sondern vor dem »Klimastreik«. Der Polizei hatte er im Vorfeld zwischen 20 und 100 Menschen für seine Veranstaltung angekündigt. Gekommen sind rund 300 Menschen, junge und alte. »Es ist eine besondere Zeit, es geht um unsere Erde«, ruft Klaus Geese, der früher ebenfalls als Pfarrer gearbeitet hat, der Menge zu.
Bereits in der DDR hat er Proteste gegen den Braunkohleabbau und die Abbaggerung von Dörfern organisiert. Den »Retter von Saalgast« nannte ihn die Lokalpresse zur Pensionierung. Monatelang hat er mit Friedensgebeten dafür gesorgt, dass die Gemeinde nicht von den Baggern geschluckt wird. Heute protestiert er wieder, »damit die junge Generation eine Zukunft hat«.
1789 war nicht nur der Beginn der Französischen Revolution, sondern auch des Braunkohleabbaus in der Lausitz. Nahe Lauchhammer wurde das erste Kohleflöz angebohrt. In großem Stil und an vielen Orten ging es erst mit der Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts los, als der Strombedarf massiv anstieg. Zum Abtransport wurden eigene Eisenbahnstrecken gebaut, die Verstromung erfolgte in Elektrizitätswerken.
In Brandenburg und Sachsen kann man heute übrigens von Polen lernen. Im dortigen Teil der Lausitz wurde 1970 die letzte Grube geschlossen. KSte Karte:nd/Wanja Wegener
Am Rande der Demonstration stehen einige Jugendliche, die davon nichts hören wollen. Einer von ihnen trägt ein T-Shirt: »Freitags in die Schule!« steht da. »Mein Opa hat in der Braunkohle gearbeitet«, erzählt der Jugendliche. Bis das Werk abgewickelt worden ist. »Klima ist ein wichtiges Thema, aber dass Menschen in Deutschland Flaschen sammeln, das ist viel dringlicher, die sollen mal gegen Altersarmut demonstrieren«, fordert er seine Altersgenossen auf.
Dass längst nicht alle Braunkohlebefürworter so besonnen argumentieren wie diese Jugendlichen, davon berichtet Kathrin Engelmann. Die junge Mutter hat ihre Kinder zu Hause gelassen. Aus Angst vor Anfeindungen. Vor ein paar Tagen hat sie auf Facebook zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen. Entgegengeschlagen ist ihr Hass. Die Stimmung ist aufgeheizt, die Debatte um den Kohleausstieg höchst emotional, auch hier in Finsterwalde am Rande der Lausitz.
Dabei hat die Gemeinde bereits durchgemacht, was vielen anderen Städten in der Kohleregion noch blüht. Der Tagebau Klettwitz-Nord südöstlich der Stadt machte 1992 zu. 90 Prozent der Beschäftigten in der Region verloren in dieser Zeit ihre Arbeit. Die Wahrheit ist: Der Großteil der Jobs in der Kohleindustrie ist bereits abgebaut. Trotzdem steht die Lausitz jetzt wieder in der Mitte einer brausenden Debatte. Die Klimabewegung fordert einen noch schnelleren Ausstieg aus der Kohle, Menschen in der Region bangen um ihre Arbeitsplätze. Gibt es eine Antwort auf diese Gegensätze? Die Kohlekommission gab zwei: 2038 ist es vorbei mit der Kohleförderung in Deutschland. Und: 17 Milliarden Euro könnten für den Strukturwandel in die Lausitz fließen. Wohin mit all dem Geld?
»Auf keinen Fall das ganze Geld in Prestigeprojekt stecken«, rät Dirk Knoche. Der stellvertretende Direktor des Forschungsinstituts für Bergbaulandschaftsfolgen in Finsterwalde meint, die Lausitz habe viele Perspektiven. »Wir müssen die Stärken unser Region betonen«, sagt der Wissenschaftler, der den Weg weg von der Kohlewirtschaft in verschiedenen Ländern erforscht. In der Lausitz gebe es viele gut ausgebildete Menschen, die auf dem Weg hin zu den erneuerbaren Energien gebraucht würden. Auch der Tourismus könne eine zentrale Rolle spielen. Die Ausgangsbedingungen seinen aber nicht einfach, vor allem der Wegzug macht der Region zu schaffen. Deshalb sollten vor allem kleine und mittelständige Unternehmen gefördert werden.
Einige Regionen gehen kreativ voran. Seit neustem erzählt man sich wieder die Geschichte von Thomas Zenker und seiner Brücke ins Nirgendwo: Der Bürgermeister der Gemeinde Großräschen schaffte es international in die Schlagzeilen, als er das Tagebauloch an seinem Ort überbrücken ließ. Kein Wasser weit und breit aber eine Brücke auf dem Trockenen. So billig wie damals konnte man nie wieder bauen. Heute kaufen Start-ups der Stadt Grundstücke am See ab. Und Zenker trinkt mit Reportern Rotwein auf seiner Brücke über dem Großräschener See.
Im benachbarten Finsterwalde ist der Tagebau ebenfalls geflutet worden. Am Ufer des Bergheider Sees steht ein Gigant: 11 000 Tonnen Stahl ragen 80 Meter in die Höhe und 504 Meter in die Länge. Im Besucherzentrum der ehemaligen Abraumförderbrücke wird man noch mit »Glückauf« begrüßt. Die Mitarbeiter des Besucherbergwerks »F60« haben alle früher im Braunkohlekombinat gearbeitet, wie sie sagen. Inzwischen führen sie Touristen durch den Stahlriesen, von dessen Spitze man einige Photovoltaikanlagen sehen kann. Die Stadtwerke in Finsterwalde liefern inzwischen Dreiviertel ihres Stroms aus erneuerbaren Energien. Das schafft neue Arbeitsplätze. Im Tourismus arbeiten inzwischen mehr Menschen als in der Kohle.
In dem Besucherbergwerk kann man trotzdem nachvollziehen, dass die Lausitzer um ihre Region fürchten. »Es ist völlig klar, dass wir aus der Kohle aussteigen müssen«, sagt einer von ihnen am Empfang. »Aber die Beschäftigten in der Bergbauindustrie sind hier die Großverdiener, da wird viel Geld verschwinden, an das ja auch die anderen Industrien gebunden sind.«
Wenn die Pfarrer Wolf und Geese, die den Klimastreik in Finsterwalde organisiert haben, von dem Besucherbergwerk reden, sprechen sie vom »erlegten Drachen«. Im September 1989 verabschiedeten sie eine Eingabe an den damaligen Staatsrat der DDR. Dort hieß es unter anderem: »Wir fordern in diesem Fall die wirtschaftliche Ausbeute durch den Braunkohlenabbau ernsthaft gegen die ökologischen Schäden sowie die sozialen Auswirkungen abzuwägen.« Später marschierte das Dorf, das abgebaggert werden sollte, zur Tagebaukante. Sie errichteten dort einen Schilderwall, um die Grenze zu markieren, die der Bagger nicht überschreiten sollte. »Hier ist die Mauer richtig«, stand auf den Transparenten. Am Ende entschied das Braunkohlekombinat, auf die Abbaggerung zu verzichten. Die Kirchenglocken läuteten an diesem Tage eine ganze Stunde.
Zum Klimastreik läuten sie heute in der Lausitz wieder. »Nach dem zweiten Dürresommer in Folge spüren wir einmal mehr die Betroffenheit durch den Klimawandel. Mit dem Läuten der Glocken laden wir alle Menschen ein, innezuhalten, für die Bewahrung der Schöpfung zu beten und eigenes Handeln zu überdenken«, heißt es in der Ankündigung der evangelischen Kirchengemeinden.
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