Kritikerin
Personalie
Wer geglaubt hat, dass Christine Lagarde als neue Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) die Frauenquote im 25-köpfigen EZB-Rat ab November um 100 Prozent steigern würde, wird erst mal enttäuscht sein: Die derzeit einzige Frau im obersten Entscheidungsgremium der Zentralbank, Sabine Lautenschläger, gab am Mittwochabend ihren Rücktritt bekannt. Ihre Amtszeit im EZB-Direktorium, durch das sie auch Mitglied im EZB-Rat war, wäre eigentlich noch bis Ende Januar 2022 gegangen. Aus Notenbankkreisen hieß es, Lautenschläger sei zermürbt gewesen vom »System Draghi«, in dem der scheidende EZB-Chef Mario Draghi Entscheidungen durchsetze und nicht den Konsens suche.
Der 55-Jährigen wird vermutlich weniger die Männerbündelei an der Spitze der EZB sauer aufgestoßen sein als viel mehr die geldpolitische Ausrichtung. Denn als deutsches Mitglied im Direktorium ist sie eine vehemente Kritikerin der lockeren Geldpolitik. Noch Ende August sprach sie sich gegen ein neues Anleihenkaufprogramm aus: »Nach meiner Meinung, basierend auf den aktuellen Daten, ist es viel zu früh für ein großes Paket«, sagte sie in einem Interview. Zwei Wochen später entschied die EZB, künftig wieder Anleihen zu kaufen.
Auch unter der designierten EZB-Chefin Lagarde wäre die Juristin in der Minderheitenposition geblieben. Schließlich gab die Französin bekannt, an dem Kurs von Draghi festhalten zu wollen. Lautenschläger ist auch nicht die erste deutsche Notenbankerin, die aus Protest aus dem EZB-Gremium ausscheidet. Ende 2011 trat Jürgen Stark aus dem gleichen Grund von seinem Posten als EZB-Chefvolkswirt zurück.
Lautenschläger ist seit 2014 Mitglied des Direktoriums. Bis Februar war sie außerdem Vizechefin der als Lehre aus der Finanzkrise geschaffenen EZB-Bankenaufsicht. Ihre Karriere begann die gebürtige Stuttgarterin 1995 im Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, einer Vorgängerbehörde der Finanzaufsicht Bafin, für die Lautenschläger später auch arbeitete. Von 2011 bis 2014 war sie Vizepräsidentin der Bundesbank.
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