Laufen und springen gegen den Krieg

Katar richtet ein Sportereignis nach dem anderen aus. Auch um sich zu schützen.

Die Frage, ob der Sport politisch wirken soll, ist mit der Entstehung des organisierten Sportes schon beantwortet worden: Für den Zeitraum der Olympischen Spiele mögen auf der Erde die Waffen ruhen, wünschten es die Gründerväter des Internationalen Olympischen Komitees am Ende des 19. Jahrhunderts. Mehr als 120 Jahre später weiß man, dass die heute geläufige Bezeichnung »Soft Power« für die politische Bedeutsamkeit des Weltsports eine sanfte Untertreibung ist. Wer die Weltsportereignisse ausrichtet, vermeldet damit seine Wirtschaftskraft und seinen Anspruch auf globale Bedeutsamkeit.

Und so ließ denn auch Sebastian Coe, Präsident der Internationalen Leichtathletikföderation, am Donnerstag vor dem Beginn der Weltmeisterschaften in Doha auf Nachfrage wissen, Sport könne helfen, politische Krisen zu lösen. Schließlich hätten auch Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Bahrain jeweils ihre Mannschaften angemeldet. Womöglich seien die Titelkämpfe ja dazu angetan, »die Stellräder neu zu justieren« in dieser Region. Sport könne helfen in der angespannten Lage. »Ja, auch diese Länder sind willkommen«, pflichtete Dahlan Al Hamad mit ernster Miene bei. Der stellvertretende Organisationschef der WM, gleichzeitig auch Präsident von Asiens Leichtathletikverband, meint, dass hier politische Krisen und Sport nicht vermischt würden.

Zur Erklärung: Die vier Länder haben gegen Katar seit Juni 2017 eine totale Blockade verhängt, weil das kleine Wüstenemirat nach ihrer Ansicht die Muslimbrüder und damit Terrorismus fördere. Die hochgerüstete Regionalmacht Saudi-Arabien hat Katars einzige Landgrenze nach eigenem Bekunden »für immer abgeriegelt«, weder Menschen noch Güter dürfen die Grenze passieren, sogar ein riesiger Grenzkanal wurde von Beratern der Königsfamilie ins Gespräch gebracht. Die vier Länder haben ihren Luftraum für alle Flugzeuge gesperrt, die Katar anfliegen.

Nachdem die Bewohner des Landes anfangs mit Hamsterkäufen reagierten, hat sich die Lage längst beruhigt. Die Türkei und Iran sprangen in Sachen Versorgung des Landes ein, in diesen Tagen sind die Regale der gigantischen Supermärkte in den noch gigantischeren Malls wieder prall gefüllt. Französische Butter, griechisches Olivenöl, iranisches Gemüse, koreanische Mobiltelefone: Im »Carrefour« der City Center Mall, die einen direkten Zugang zum Athletenhotel hat, bilden Sportler, Betreuer und Trainer in ihren Trainingsanzügen an den Kassen lange Schlangen. Wer Geld hat, kann in Katar prassen wie eh und je.

Zum ersten Jahrestag der Blockade wurde im vergangenen Sommer ein großes LED-Band mit der Aufschrift »Everything will be alright« an die Außenmauer der Al-Riwaq-Galerie des Katar-Museums angebracht, britische Konzeptkunst, die dem Passanten an der Strandpromenade »versichern« soll, das alles gut werde, wie das Museum erklärt. Wird alles gut? Zumindest mit der Soft Power Sport läuft es immer noch rund. Das schwerreiche Emirat mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen weltweit ist weiterhin dabei, sich als Sporthauptstadt zu etablieren, Wüstenhitze, westlicher Kritik und Baustaub zum Trotz. Die Fußball-WM 2022 wurde wunschgemäß in den Winter verlegt, und dass die FIFA den Katarern die Ausrichtung des Turniers wegen der unzumutbaren Behandlung der migrantischen Arbeiter noch entzieht, erscheint mittlerweile recht unwahrscheinlich. Viel eher könnte sich auch FIFA-Präsident Gianni Infantino dann als Friedensbringer inszenieren, wenngleich manche vermuten, dass ein Fußball-WM-Entzug sogar Frieden bringen könnte. »Wenn Katar die WM genommen wird, gibt es keine Krise mehr«, soll der Polizeichef Dubais in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Dhahi Khalfan, getwittert haben, berichtete die »Gulf Times« aus Katar.

Für die Katarer geht es mit all ihrem Streben im Sport unter anderem auch darum, nicht in den alten und neuen Konflikt am Persischen Golf hineingezogen zu werden: Im ewigen Ringen von Saudi-Arabien, Iran und den USA um die Macht in der Region kann das 2,7 Millionen Einwohner zählende Katar nur verlieren. Bliebe vielleicht im Ernstfall das Land verschont, in dem alle Welt Fußball, Handball, Tennis spielt oder um die Wette läuft, springt, wirft, turnt? An Bedeutsamkeit gewinnt man als Sportcity auf jeden Fall: Dahlan Al Hamad vom Doha-Organisationskomitee verwies am Donnerstag mit Stolz darauf, welches Superlativ passt, für die Welttitelkämpfe, die mit dem 4x400m-Lauf am 6. Oktober enden werden: »das größte Sportereignis, das jemals in dieser Region ausgerichtet wurde«.

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