Werbung

Gentech-Moskito OX513A verbreitet sich in Brasilien

Versuch der Dezimierung von Krankheitsüberträgern ist wohl gescheitert und zieht neue Bedrohungen nach sich.

  • Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
  • Lesedauer: 4 Min.

Mücken sind in Europa ein Ärgernis, in Ländern wie Brasilien dagegen eine Gefahr für die Gesundheit. Dort überträgt die Ägyptische Tigermücke Krankheiten wie Dengue, Gelbfieber, Zika und Chikungunya. Lange versuchte Brasilien, die Ausbreitung dieser Mücke mit konventionellen Mitteln wie Giften einzudämmen - doch ohne Erfolg. Deshalb setzte die Regierung ab 2011 auf genetisch veränderte Stechmücken der britischen Firma Oxitec und schlug Warnungen von Gentechnik-Kritikern in den Wind. Dieser Lösungsversuch scheint nun gescheitert.

Das brasilianische Experiment mit den gentechnisch veränderten Tigermücken (Aedes aegypti) begann Oktober 2011 im Bundesstaat Bahia in zwei Armenvierteln der Stadt Juazeiro mit rund 200 000 Einwohnern. Bis September 2012 setzten hier das im britischen Oxford gegründete Unternehmen Oxitec zusammen mit der Universität São Paulo etwa 17 Millionen männliche, im Labor erzeugte Tigermücken aus.

Die gentechnisch veränderten Männchen sollten sich mit wild lebenden Weibchen paaren und nicht überlebensfähigen Nachwuchs produzieren, was letztlich die Wildpopulation zu verringern sollte, ohne genetische Spuren in der Natur zu hinterlassen. Oxitec hat dazu die Mücken mit der Bezeichnung OX513A mit einem zusätzlichen Gen ausgestattet, das deren Nachkommen bereits im Larvenstadium absterben lässt.

2013 wurde dann der von der brasilianischen Kommission für Biosicherheit (CTNBio) genehmigte Freisetzungsversuch in der Stadt Jacobina mit rund 80 000 Einwohnern fortgesetzt. Bis September 2015 ließen die Genforscher hier wöchentlich 450 000 männliche Gelbfiebermücken mit verändertem Erbgut frei. Die von Brasiliens Gesundheitsministerium erhoffte Reduzierung der Mückenpopulation um rund 90 Prozent stellte sich zwar zunächst ein. Doch schon 18 Monate nach der letzten Freisetzung war die Zahl der Stechmücken wieder auf den Stand vor Versuchstart angewachsen.

Nichtsdestoweniger bekam Oxitec 2014 von CTNBio die Freigabe zur großflächigen Vermarktung seiner Gentech-Moskitos in Brasilien. Weitere Millionen der Oxitec-Insekten wurden daraufhin in Piracicaba und Indaiatuba im Bundesstaat São Paulo sowie in Juiz de Fora (Minas Gerais) freigelassen, obwohl brasilianische Wissenschaftler wie der Biologe José Maria Gusman Ferraz bereits 2013 die Einstellung der Feldversuche forderten. Die Menschen in den betroffenen Regionen seien nicht über die möglichen Risiken der gentechnisch manipulierten Mücken informiert worden und dürften nicht weiter als Versuchskaninchen missbraucht werden, kritisierte Ferraz in der Biosicherheitskommission. Entgegen den Beteuerungen von Oxitec hielt er überlebensfähige Kreuzungen der Gentech-Mücken mit ihren natürlichen Artgenossen nicht für ausgeschlossen.

Und dieser Fall scheint nun eingetroffen zu sein. Forscher der Universitäten Yale und São Paulo haben die in Jacobina lebenden Moskitos jeweils zwölf und 27 bis 30 Monate nach der Freisetzung auf ihre genetischen Veränderungen hin untersucht. In den einzelnen Stadtteilen fanden sie zwischen zehn und 60 Prozent an Mücken, die Spuren des Erbguts von OX513A in sich tragen, schreiben sie in der Fachzeitschrift »Scientific Reports« (DOI: 10.1038/s41598-019-49660-6). Offenbar starben nicht alle Nachkommen der gentechnisch veränderten Männchen ab. Einige vermehrten sich erfolgreich.

Das aus der heimischen Population unbekannte Genmaterial in den überlebenden Moskitos stamme allerdings nicht aus den künstlich eingeschleusten Transgenen, sondern aus dem sogenannten genetischen Hintergrund der Oxitec-Mücken, die eine Kreuzung aus kubanischen und mexikanischen Aedes-aegypti-Stämmen sind. Das Erbgut der »neuen« Mücken in Jacobina sei nun ein Mix aus den Genen der ursprünglich ansässigen Moskitos sowie Genen aus Kuba und Mexiko. Es sei noch unklar, welche Folgen die Übertragung des fremden Erbguts auf künftige Generationen von Gelbfiebermücken habe. Aufgrund der Vermischung der genetisch recht unterschiedlichen Stämme aus Kuba, Mexiko und Brasilien könnten die neuen Jacobina-Moskitos aber robuster und resistent gegen Insektizide sein. »Das Entscheidende ist, dass etwas Unerwartetes passiert ist«, so der Leiter der Studie, der Biologe Jeffrey Powell. In der Natur laufe es eben oft anders, als es Laborstudien erwarten ließen. »Unsere Ergebnisse zeigen, wie wichtig ein Überwachungsprogramm bei der Aussetzung gentechnisch veränderter Organismen ist, um unerwartete Folgen festzustellen.«

Insbesondere die Spekulation über eine größere Robustheit gegen Insektizide rief Kritiker auf den Plan. Jason Rasgon von der Pennsylvania State University kritisiert, dass die Autoren in ihren Schlussfolgerungen einiges überzeichnen, wird Rasgon im Fachblatt »Science« zitiert. Wie Oxitec stellt er insbesondere die Behauptung Powells in Frage, dass die Vermischung von Genomen die Moskitopopulation »wahrscheinlich« gestärkt hat, indem sie ihre genetische Variationsbreite vergrößert hat. Rasgon, der selbst gentechnisch veränderte Mücken entwickelt, fürchtet zudem, dass der Bericht unbegründete Vorbehalte gegen den Einsatz der Gentechnik schürt und damit deren Akzeptanz gefährdet.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.