Wunschschreiben

Tim Wolff über den Journalismus als Werbeagentur des herrschenden Schwachsinns.

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 3 Min.

Tim Wolff ist Kolumnist des »nd«. Er wünscht sich weniger Schwachsinn in der Welt. Stattdessen bekommt er so etwas auf der Website des ZDF zu lesen: »Elmar Theveßen ist Leiter des ZDF-Studios in Washington. Er wünscht sich mehr Ernsthaftigkeit von allen Seiten.« Na, wenn Elmar Theveßen, Leiter des ZDF-Studios in Washington, sich das wünscht, dann werden Trump und Co. wohl müssen.

Der Wunsch nach Ernsthaftigkeit, Mäßigung, nach weniger Polemik ist der schale Standard eines sich neutral wähnenden Journalismus, der kein Ziel als das Staatstragende hat, aber doch meinen muss, weil irgendwann irgendwer den Kommentar erfunden hat. Aber ein Leiter wie Theveßen weiß, wie man flott in einen solchen Standard tanzt: »Stellen wir uns mal vor, Jim, Alex und Tom treffen sich irgendwo auf der Straße. Sie wirken aufgeregt, gestikulieren.« Aufregend. »›Der verrät unser Vertrauen an fremde Mächte‹, ereifert sich Jim. Und Alex pflichtet ihm bei: ›Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Mächte Einfluss in unseren Institutionen gewinnen.‹ ›Und dass wir uns mit denen irgendwie verstricken‹, setzt Tom wütend hinzu. Die drei reden sich richtig in Rage, da kommt auch noch George dazu. Er spricht von der ›heimtückischen List fremder Einflüsse‹.« Wie bitte, was? »Das klingt ein wenig altmodisch, kein Wunder, denn es ist ein wörtliches Zitat aus der Abschiedsbotschaft des ersten US-Präsidenten George Washington, die im September 1796 in einer Zeitung veröffentlicht wurde.« Theveßen schreibt so wie ein Geschichtslehrer, der glaubt, mit solch heiteren Anekdoten könne man Pubertierende für die US-amerikanische Verfassung interessieren.

Wer diesen Einstieg ohne Knoten im Hirn übersteht, bekommt dann zur Beruhigung genau das, was man immer zu allem schreiben kann: »Die Grand Old Party, wie sie sich auch nennt, gibt es offenbar nicht mehr ... Nur so lässt sich begreifen, wie sehr dieses Telefongespräch zwischen Donald Trump und seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj an den Grundfesten der amerikanischen Republik rüttelt. Einer Republik, die vor allem die Republikanische Partei um jeden Preis verteidigen müsste, schließlich war es der größte Präsident aus ihren Reihen, der diese Republik einst zusammenhielt: Abraham Lincoln.« Die Klage, das gute Alte sei in Gefahr, das Ernstnehmen politischer Mythen, an die kein Beteiligter je wirklich geglaubt hat, gehen so weit opahaft schwätzend an der Realität vorbei, dass man gewillt ist, es wie üblich zu ignorieren.

Es ist aber die Lebenslüge dieses Journalismus, dass es nur eine gewisse Aufrichtigkeit und Vernunft auf allen Seiten bräuchte, dann liefe schon alles gut: »Aber auch die Demokratische Partei wird der historischen Verantwortung in diesen ersten Tagen des Impeachment-Prozesses nicht gerecht. Ihre Anführer polemisieren und fällen vorschnelle Urteile, ohne alle Fakten auf dem Tisch zu haben. Es ist ein unwürdiges und brandgefährliches Spektakel, weil es großen Schaden in der amerikanischen Demokratie anrichten kann. Beide Seiten müssten sich der Verantwortung bewusst sein und ohne ideologischen Eifer und Zorn, nur getrieben von der Entschlossenheit zur vollständigen Aufklärung, sachlich im Ton und mit gegenseitigem Respekt der Aufgabe nachgehen.«

Theveßen will mit der Minimalforderung des Staatsliberalismus, dem Ruf zur Mäßigung »auf allen Seiten«, also aus der Mitte heraus, in die sich alle hineinfantasieren, die Demokratie vor dem Schaden bewahren, den sie selbst erzeugt: Faschismus, diesmal in Form eines schamlosen Idioten namens Trump. So ist Journalismus nur die Werbeagentur des herrschenden Schwachsinns. Oder um es mit Peter Hacks zu sagen: »Ein Land, das Medien hat, braucht keine Zensur.«

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