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»Ich will, dass der Boss sich entschuldigt«
Seit fünf Jahren warten Bauarbeiter der Mall of Berlin auf ihren Lohn. Jetzt könnten sie Rechtsgeschichte schreiben.
Ovidiu Mindrila hat heute frei. Nicht weil Wochenende ist, sondern weil er seit ein paar Tagen keine Arbeit mehr hat. Sein letzter Job endete für ihn vor einer Woche, er war gerade mal zwei Tage da, Samstag und Sonntag, jeweils zwölf Stunden. Er half beim Umbau eines Einfamilienhauses in Berlin-Wittenau. Seine Frau Valentina putzte im gleichen Haus den Dreck weg, den die Arbeiter hinterließen. Zehn Euro pro Stunde sollte es geben, am Wochenende etwas mehr. Dann machte der Chef einen Vorschlag - oder besser zwei: Mindrila sollte eine Rechnung über 5000 Euro ausstellen. Da er keinen Gewerbeschein hatte, wollte der Chef mit ihm nach Polen fahren, wo Mindrila eine Firma hätte anmelden sollen. Die genauen Umstände waren Mindrila nicht klar. Eines war aber offensichtlich: Der Chef wollte Geld sparen. Mindrila lehnte ab. Am nächsten Tag hieß es, es gebe keine Arbeit mehr für ihn.
Am 16. Oktober entscheidet das Bundesarbeitsgericht über die Klage von zwei Arbeitsmigranten, die um ihren Lohn geprellt wurden. Wir haben den Fall zum Anlass für eine große Recherche über Lohnausbeutung am Bau genommen. Besonders betroffen sind Arbeitsmigranten, die ihre Rechte oft nicht kennen oder nicht wissen, wie sie sie durchsetzen könnten. Ihre Erfahrungen zeigen, was ein geringer Arbeitnehmerschutz konkret bedeutet, für Inländer wie Ausländer. Wir haben für die Recherche das Stipendium »Reporters in the Field« erhalten, das vom Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung n-ost und der Robert-Bosch-Stiftung gefördert wird. Alle Texte gibt es hier.
Mindrila ärgert sich, während er das erzählt. Er hat an diesem Samstag Anfang August in seine Wohnung eingeladen: zwei Betten, Küchenzeile, keine Stühle, alles in einem Raum. Auch am Wochenende trägt er eine weiße Arbeiterhose, dazu Flipflops; ein Zehennagel ist eingerissen. »Ich will das nicht mehr. Ich will nicht mehr solche Jobs angeboten bekommen.« Gleichzeitig wundert er sich über seinen ehemaligen Chef. »Ist der denn blöd? Sieht der nicht auf Facebook, dass ich Interviews gebe, zur Polizei gehe?«
Mindrila, heute 37 Jahre alt, hat nicht nur mit der Presse und der Polizei gesprochen. Er hat auch Arbeitgeber verklagt. Weil sie ihn nicht bezahlt haben. 2014 arbeitete er auf der Baustelle der Mall of Berlin, eines der größten Shoppingcenter der Hauptstadt. Fünf Jahre und mehrere Gerichtsverhandlungen später haben er und seine Kollegen immer noch kein Geld bekommen.
Bauen ließ die Mall die HGHI Leipziger Platz GmbH & Co. KG (im Weiteren: HGHI Leipziger Platz). Hinter ihr steht der Investor Harald Huth, ungeschlagener Shoppingcenter-Baukönig Berlins. Er ließ die Gropius-Passagen in Neukölln bauen, das Schloss in Steglitz und die East Side Mall in Friedrichshain. Derzeit lässt er das Tegel-Center umbauen.
In der Hoffnung, auf diese Weise an ihr Geld zu kommen, klagen Mindrila und ein weiterer Kollege, Niculae Hurmuz, nun gegen Huths Firma HGHI Leipziger Platz. In letzter Instanz entscheidet am 16. Oktober das Bundesarbeitsgericht über die Klage. Sollten die Bauarbeiter Recht bekommen, wäre das ein Präzedenzfall. Noch nie sind ausländische Bauarbeiter bis vors Bundesarbeitsgericht gezogen, noch nie wurde der Investor eines Bauprojekts für ausbleibende Lohnzahlungen gerichtlich haftbar gemacht. Es wird schwierig - aber es könnte klappen.
Mindrila war Ende 2011 aus Rumänien nach Deutschland gekommen, weil es hieß, hier gebe es gut bezahlte Arbeit. Die ersten Jobs waren okay: Fenster putzen, Bauhelfer, sieben Euro Stundenlohn. Dann landete er auf der Baustelle der Mall of Berlin. Es gab sechs Euro pro Stunde, bar auf die Hand, am Ende der Woche. Nach einem Arbeitsvertrag fragte er vergeblich. Im September blieb der Lohn plötzlich aus - für rund 30 rumänische Arbeiter. Sie fragten, forderten, drohten mit Arbeitsniederlegung. Als auch Proteste vor der mittlerweile eröffneten Mall nicht halfen, wurden sie schließlich auf die kleine Basisgewerkschaft FAU aufmerksam. Mit deren Hilfe nahmen sich sieben von ihnen einen Anwalt. Die meisten anderen waren längst nach Rumänien zurückgekehrt.
Die sieben klagten gegen die zwei Subunternehmen, die sie beschäftigt hatten: Metatec und Openmallmaster. Insgesamt ging es um 30 000 Euro. Doch obwohl fünf von ihnen vor einem Arbeitsgericht Recht bekamen, haben sie bis heute kein Geld erhalten: Metatec meldete Insolvenz an, dort war nichts mehr zu holen. Bei Openmallmaster, der Firma, für die Mindrila gearbeitet hatte, tauchten alle Vertreter ab. Das Unternehmen schien nicht mehr als eine Briefkastenfirma zu sein. Zwar forderte das Gericht eine Vermögensauskunft von Geschäftsführer Wiktor K. an. Der gab diese jedoch nicht ab. Auch ein Haftbefehl gegen K. blieb erfolglos. Anders als im Strafrecht erlischt ein solcher zivilrechtlicher Haftbefehl nach zwei Jahren. Dennoch irritiert es zu sehen, dass K. heute als Geschäftsführer eines Berliner Unternehmens firmiert - und immer noch nicht gezahlt hat.
Kurz nach Eröffnung der Mall meldete auch der Generalunternehmer FCL Insolvenz an. Die Arbeiter stehen auf einer langen Liste von Gläubigern mit Forderungen von über 100 Millionen Euro. Die Forderungen sind noch offen. Laut Insolvenzverwalter wird das Verfahren noch einige Jahre dauern.
Anwälte beider Seiten verstorben
Die Geschichte zieht sich hin. Mindrilas erste Gerichtsverhandlung fällt auf den 15. September 2015. Seine Klage gegen Openmallmaster wird abgewiesen: Es sei nicht erwiesen, dass er gerade für diese Firma gearbeitet habe. Er geht in Berufung. »Wir hatten eine gute Argumentation und auch Zeugen, die für Mindrila ausgesagt hätten«, sagt Tinet Erganzina von der FAU, die die rumänischen Arbeiter von Anfang an begleitet hat. Doch zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung kommt es nicht: Zur Verhandlung taucht kein Vertreter der Gegenseite auf. Gegen Openmallmaster wird deshalb ein sogenanntes Versäumnisurteil verhängt. Der Anwalt des Unternehmens war kurz vor der Verhandlung gestorben. Das Gericht hatte zwar ad hoc einen Kollegen mit dem Fall beauftragt, der wollte ihn aber nicht übernehmen, erklärt dieser später auf nd-Anfrage.
Doch weil die Firmenvertreter für das Gericht nicht mehr erreichbar sind, bekommt Mindrila sein Geld trotzdem nicht. Schließlich klagt er gegen die HGHI Leipziger Platz. Den Bauherrn zu verklagen, ist dem Gesetz nach zwar möglich, argumentiert Mindrilas Anwalt. In der Praxis werden für ausstehende Löhne bisher allerdings ausschließlich Subunternehmen und Generalunternehmer haftbar gemacht, die den Bau beaufsichtigen.
Beim Gütetermin im Dezember 2016 kann keine Einigung erzielt werden. In der Hauptverhandlung im Mai 2017 weist die Richterin die Klage zurück und folgt damit der gängigen Rechtsprechung. Die Berufung vor dem Landesarbeitsgericht muss Mindrila mit einem neuen Anwalt bestreiten. Auch sein bisheriger Rechtsbeistand, Sebastian Kunz, ist verstorben, im Alter von nur 33 Jahren. Kanzleikollege Klaus Stähle übernimmt. Die Richterin argumentiert: »Ist der Bauherr nicht moralisch dafür verantwortlich, was auf seiner eigenen Baustelle passiert?« Moralisch. Nicht juristisch. Sie weist die Klage ab, lässt aber die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht zu. Das soll die Frage der Haftung höchstinstanzlich klären. Für Mindrila könnte das bedeuten, nach dem 16. Oktober 4133,51 Euro mehr auf dem Konto zu haben. Natürlich würde er sich darüber freuen. Doch das Geld ist nicht sein Hauptantrieb für fünf Jahre Kampf, vier Jahre durch die Gerichte. »Es geht um Gerechtigkeit. Damit die Firmenbesitzer verstehen, dass sie Menschen nicht so verarschen können.«
Ovidiu Mindrila war bis jetzt bei fast allen Gerichtsverhandlungen gegen einen der Arbeitgeber der Mall of Berlin - nicht nur bei seinen eigenen, sondern bei denen beinahe aller seiner Kollegen. Er hofft, dass der Prozess am 16. Oktober der letzte sein wird. »Es reicht langsam. Aber ich weiß nicht, ob es Harald Huth auch reicht.«
Lohnbetrug ist weit verbreitet
Lohn- und Sozialbetrug gibt es auf vielen Baustellen: zu niedriger Stundenlohn, nichtmonetäre Leistungen wie Essen und Unterkünfte werden angerechnet, oder ein Teil der Stunden wird ohne Sozialabgaben ausgezahlt. Laut Soka Bau, der Urlaubskasse der Bauwirtschaft, arbeiten auf Berliner Baustellen offiziell 63 Prozent Teilzeitbeschäftigte. Tatsächlich arbeite dort aber niemand lediglich in Teilzeit, heißt es. »Es liegt deshalb zumindest der Verdacht nahe, dass mit der Teilzeitmeldung Sozialkassenbeiträge hinterzogen werden sollen«, sagt ein Sprecher. Ausländer sind häufiger betroffen - und können sich schlechter wehren: Sie sprechen die Sprache oft nicht ausreichend und kennen die Gesetze nicht. Die wenigsten wissen zudem, wo sie sich Hilfe holen können.
Ovidiu Mindrila ist der einzige der sieben ursprünglichen Kläger, der heute noch in Berlin wohnt. Nicolae Molcoasa lebt in Potsdam. Niculae Hurmuz ist zurück nach Bukarest gezogen. Die Brüder Bogdan und Gioni Droma, ihre Onkel Cubylyass (Billy) Dumitru und Elvis Iancu sind kurz nach dem Mall-Reinfall nach England umgesiedelt.
Wenn man Bogdan Droma zur Mall of Berlin befragt, kommt erst einmal ein langes Seufzen. »Wenn ich nur daran denke, bekomme ich schlechte Laune«, sagt er. »Ich war sehr unzufrieden mit Deutschland.« Droma, schwarze Haare, Vollbart, wohlgenährter Bauch, wartet in einer Seitenstraße in Luton auf Delia Chiuzbaian. Neben indischen, thailändischen, italienischen und türkischen Restaurants gibt es einen Laden der Heilsarmee.
Luton war lange eine der wichtigsten Industriestädte Englands. Seit über 100 Jahren baut Vauxhall hier Autos, doch ein Großteil der Werkes ist mittlerweile geschlossen. Die Arbeitslosigkeit ist dennoch nur ein Prozent höher als im Rest des Landes. Allerdings ist die Anzahl unqualifizierter Arbeiter fast doppelt so hoch wie im landesweiten Durchschnitt. Ein-Pfund- und andere Billigläden liegen neben Arbeitsagenturen, die Mitarbeiter für Amazon und andere Lagerhäuser suchen.
Bogdan Droma arbeitet derzeit als Gabelstaplerfahrer. Vor Kurzem hat er noch Kabel sortiert, davor Turnschuhe verpackt. Einmal flog er, »weil einem Kollegen meine Nase nicht gefiel«. Einmal wurde er abgemahnt, weil er - noch vor Beginn der Arbeitszeit - »20 Sekunden mit einem Kollegen sprach«. Droma hat große Pläne, er will eine eigene Firma gründen. Gerade hat er sich für ein berufsbegleitendes Fernstudium BWL beworben.
Heute Abend trifft er sich mit Delia Chiuzbaian in den Räumen des Link Centre, ein Verein, der Rechtshilfe und Sozialberatung für Osteuropäer bietet. Droma ist einer der Ehrenamtlichen, die Landsleute zu Behörden oder Arbeitgebern begleiten, übersetzen und ihnen helfen, zu ihrem Recht zu kommen. Er ist für die »Extremfälle« zuständig, wie er sagt. Menschen, die ihre Arbeit verlieren, nicht wissen, wie sie ihre Familie ernähren sollen. Er hat Erfahrung damit.
Droma war 29 Jahre alt, als er nach Deutschland ging. Mit 13 hatte er angefangen, Armbänder zu verkaufen, meist aus Schnüren, mit Perlen daran. Er arbeitete auf belebten Plätzen in Bukarest, der Hauptstadt Rumäniens. Er baute einen Tisch auf, legte die Ware aus, sprach Menschen an. »Wie die Leute, die dich fragen, ob du den Stromanbieter wechseln willst. Das habe ich gemacht, aber mit Armbändern.« Es lief nicht schlecht. »Aber ich habe gemerkt, dass ich mich im Kreis drehe. Und wenn ich daran nichts ändere, dann werden meine Kinder sich genauso im Kreis drehen.«
Erst ging er nach England, dann riefen ihn Verwandte an: In Berlin gebe es gute Arbeit. Droma landete auf der Baustelle der Mall of Berlin. Er räumte Dreck weg, putzte. Eine Weile lief es gut. Nur einen Vertrag bekam er nicht. »Wir wurden immer auf morgen vertröstet.« Und dann gab es kein Geld mehr.
»Ich bin nicht nach Deutschland gegangen, um illegal zu arbeiten«, sagt Droma. Auch nicht, um gratis zu arbeiten. »Vielleicht war ich naiv. Ich dachte, dass so etwas in Deutschland nicht passiert. Ich war 29 oder 30. Ich hatte Lebenserfahrung, aber nur in Rumänien, ich hatte keine Ahnung von der Welt.«
Droma und die anderen Rumänen gingen ins Büro des Subunternehmens, bei dem sie beschäftigt waren, sprachen mit Alexandru P., der für sie zuständig war. Der vertröstete sie, einige bekamen irgendwann ein paar Scheine zugesteckt. Nicht das, was ihnen zustand. Sie hatten kein Geld mehr, konnten sich die Wohnung nicht mehr leisten, die mit mehr als zehn Mann sowieso überbelegt war. Sie schliefen auf der Straße, direkt neben der Mall. Es war nicht viel Geld, das man ihnen schuldig war, aber sie brauchten es. Irgendwann bastelten sie aus einem Bettlaken ein Transparent und stellten sich vor die Mall auf die Straße.
Droma ist gewerkschaftsskeptisch
Ein Passant, so erinnert sich Droma, kam vorbei und fragte, ob sie Hilfe bräuchten, zum Beispiel, um bessere Transparente zu gestalten. »Ich brauchte 20 Sekunden, um zu antworten. Klar.« Kurz darauf erreichte Tinet Erganzina, die im Sekretariat der FAU arbeitete, eine Mail. Erganzina lud die Mall-Arbeiter zum freitäglichen Offenen Lokal ein. Jeder, der Probleme auf der Arbeit hat, kann vorbeikommen. »Sie kamen zu neunt«, erinnert sich Erganzina. Und wurden sofort Mitglied. Zwei reisten kurz darauf zurück nach Rumänien. Sieben blieben.
Droma hält nicht viel von Gewerkschaften. Von Treffen mit dem DGB war er enttäuscht. Die wollten ein paar hundert Euro für sie aushandeln. Das reichte ihm aber nicht. Die FAU war anders. Sie prägte den Namen »Mall of Shame« für das Shoppingcenter am Leipziger Platz in Berlin. »Die FAU war bereit zu Aktionen. Sie haben Flyer gedruckt, sind mit uns in die Mall gegangen. Wir haben damit eine Nachricht an Harald Huth gesendet: Wir sind hier, du hast uns nicht bezahlt, das lassen wir deine Kunden jetzt wissen. Schäm dich deswegen.« Droma gefiel das. Aber sein Geld bekam er nicht. Damit konnte er leben. »Das war es nicht, was ich wollte. Ich wollte nicht das Geld. Ich wollte, dass der Boss vor Gericht zitiert wird, zugibt, dass er uns nicht bezahlt hat und sich entschuldigt.« Mit Hilfe der FAU ging es tatsächlich vors Berliner Arbeitsgericht. Droma bekam Recht. Aber kein Geld. Harald Huth erschien nie im Verhandlungssaal.
Elvis Iancu ist dünn geworden. Abgemagert im Vergleich zu 2014, als der Kampf um den Lohn begann, sein Gesicht eingefallen. Die Augen sind rot, als sei er gerade aufgestanden und hätte zu wenig geschlafen. Seit dreieinhalb Jahren arbeitet er für Amazon in Coventry, anfangs tagsüber, seit einer Weile nur noch nachts. Man verdient mehr. Offiziell hat er vier Tage, meistens macht er Überstunden, wie die meisten, dafür gibt es noch einmal mehr Geld. Er nimmt die Waren an, die ins Lager geliefert werden. Anfangs war auch seine Frau in England, aber es gefiel ihr nicht. »Das Wetter, das Essen«, sagt Iancu. Nun lebt sie wieder in Konstanza. Dort hat die Familie einen Gemischtwarenladen. »Ich hätte nicht weggehen müssen, der Laden lief gut, ich hatte ein Auskommen.« Doch er hoffte, in Deutschland etwas Geld ansparen zu können, um das Geschäft auszubauen. Daraus wurde nichts. Jetzt versucht er es in England.
Kein Interesse mehr an der Mall
Die Mall interessiert ihn nicht mehr. Er ist dennoch zu einem Interview bereit, vermutlich auch aus Dankbarkeit gegenüber der FAU, die den Kontakt vermittelt hat, lädt ein in sein typisch englisches Reihenhaus, das er sich mit anderen osteuropäischen Arbeitern teilt.
Iancus Geschichte ist die von Bogdan Droma, die von Ovidiu Mindrila, die vieler anderer Rumänen oder anderer Osteuropäer auf deutschen Baustellen, in der Gebäudereinigung, in den Fleischbetrieben. Wort- und gestenreich hatte Iancu noch im Juli 2015 erzählt, wie er mit dem zum Transparent umgestalteten Bettlaken vor der Mall of Berlin stand und plötzlich der Chef aus einer »Luxuslimousine« ausstieg, zwei »Gorillas« an seiner Seite. Heute, auf seinem Sofa in Coventry, hat er eine dünne Stimme, zuckt mit den Achseln, fragt, warum er das alles noch einmal erzählen soll.
Dann erzählt er doch, wie er, damals 44 Jahre alt, einem Freund gefolgt war, der bereits auf der Mall arbeitete. Wie er seine Verwandten zusammentrommelte, seinen Sohn Roberto, damals 21, seine Neffen Bogdan und Gioni Droma und andere. Auch sein Cousin Billy kam nach Berlin. »Ich habe meinem Freund vertraut. Die anderen haben mir vertraut.« Dass sie nicht bezahlt wurden, traf ihn auch, weil er sich für die Gruppe verantwortlich fühlte. Vielleicht führte er deshalb gemeinsam mit Bogdan Droma die Proteste an, ging zur FAU, klagte. Klar ging es auch um das Geld. Aber viel mehr: »Es ging um unsere Würde«, sagt er. Und: »Deutschland ist bekannt dafür, korrekt zu sein. Dass dort so etwas passiert, das hat mich überrascht.«
In England war alles einfacher. Iancu kontaktierte vorab eine Agentur, die besorgte ihm den Job bei Amazon. Er bekam einen Vertrag, seitdem arbeitet er dort und ist zufrieden. Es gibt mehr Geld als in Deutschland.
Warum er nicht wie Mindrila weiter geklagt hat? »Das ist doch Zeitverschwendung«, sagt er. Für die Klage wünscht er seinem ehemaligen Kollegen dennoch Erfolg.
Auch Niculae Hurmuz hatte vor dem Arbeitsgericht gegen den Investor geklagt - mit gleichem Ausgang: Klage abgelehnt, Berufungsklage abgelehnt, Revision zugelassen. Auch seine Klage wird am 16. Oktober vor dem Bundesarbeitsgericht behandelt. Er lebt in Bukarest und pflegt dort seine Mutter. Ein vereinbartes Treffen sagt er kurzfristig ab.
Wie groß die Chance ist, dass die Bauarbeiter die Klage gewinnen, vermag Tinet Erganzina von der FAU nicht einzuschätzen. Sie hofft auf einen positiven Ausgang - nicht nur für Mindrila und Hurmuz. »Wenn wir Recht bekommen, dann könnten auch andere Arbeiter gegen Bauherren Ansprüche erheben.« Sie ist sicher: Wenn es nur um ihre eigenen Löhne gegangen wäre, hätten die beiden längst aufgegeben. »Aber es geht um alle anderen.« Und wenn sie verlieren? »Das wäre ein riesiger Skandal: Sieben Menschen, die ehrlich gearbeitet haben, kämpfen jahrelang für ihren Lohn - und die Unternehmen kommen davon.« Eine Sprecherin der HGHI Holding sagt auf Anfrage, man gehe davon aus zu gewinnen. Ein anderes Ergebnis werde die Eigentümergesellschaft aber akzeptieren.
Und was macht Mindrila, wenn die Richter gegen ihn entscheiden? Weiter prozessieren. »Wenn es möglich ist weiterzugehen, gehe ich weiter.«
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