- Politik
- Berufsverbote in der BRD
Zerstörte Lebenspläne
Die Folgen der BRD-Berufsverbote spüren viele Betroffene noch heute
Anfang 1972 hatten die Regierungschefs in Bund und Ländern den Anstoß für einen Erlass gegeben, der jahrzehntelang linke Aktivisten als »Verfassungsfeinde« brandmarkte und ihnen den Zugang zum öffentlichen Dienst versperrte. Betroffen von Berufsverboten aufgrund des Radikalenerlasses waren etwa Lehrer, Wissenschaftler, Lokführer, Postbeamte und Friedhofsgärtner, denen nach intensiver Bespitzelung durch den Verfassungsschutz gesellschaftskritische Aktivitäten zur Last gelegt wurden.
Viele Betroffene wehrten sich und kamen nach aufreibendem Kampf und unter dem Druck einer Solidaritätsbewegung doch noch in den Staatsdienst. Andere sind daran völlig zerbrochen und leiden noch heute unter der Zerstörung ihrer Lebenspläne und Altersarmut.
Aber auch wer dem Berufsverbot trotzte, hatte noch lange an den psychischen Folgen der Ausgrenzung zu knapsen. So zum Beispiel der pensionierte Baden-Badener Gymnasiallehrer Klaus Lipps. »Es ist wichtig, dass man Menschen im Umfeld hat, die einem die Seele streicheln«, so Lipps, der Sprecher der Initiative gegen Berufsverbote ist.
Die Initiative setzt sich dafür ein, dass die persönlichen und gesellschaftlichen Folgen und das Unrecht der Berufsverbote aufgearbeitet und die Betroffenen rehabilitiert und entschädigt werden. Am Wochenende lud sie zu einem Ratschlag in Frankfurt am Main, an dem knapp 100 Betroffene, Angehörige und politische Aktivisten teilnahmen.
»Mein Leben geht dem Ende zu, und ich möchte noch entschädigt werden«, gab sich die Kunsthistorikerin Gabriele Sprigath auf der Veranstaltung kämpferisch. Ihr war 1978 eine Professur in Braunschweig verweigert worden, weil akribisch erstellte Verfassungsschutzakten Details ihrer früheren Münchner DKP-Aktivitäten auflisteten.
Rolf Gössner, Jurist und Autor aus Bremen, der selbst erfolgreich gegen seine langjährige Überwachung durch den Verfassungsschutz geklagt hatte, bezeichnete die Berufsverbote-Politik der 1970er und 1980er Jahre als »ein dunkles, nicht aufgearbeitetes Kapitel bundesdeutscher Geschichte«. Diese Praxis habe mit Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit und Renteneinbußen das politisch-kulturelle Klima vergiftet und müsse genauso wie die Geschichte des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR kritisch und rückhaltlos aufgearbeitet werden, forderte er.
Gössner warnte vor einem Weg in einen demokratisch kaum kontrollierbaren autoritären Sicherheits- und Überwachungsstaat, in dem der Mensch zum Sicherheitsrisiko mutiere und Angst als Herrschaftsinstrument diene. Den Berufsverbotsopfern müsse eine volle gesellschaftliche Rehabilitierung einschließlich materieller Entschädigung für Einbußen bei Renten und Pensionen zuteilwerden, forderte Gössner.
Während die Anerkennung des Unrechts an den Berufsverbotsopfern und die Aufarbeitung der Schicksale in mehreren norddeutschen Ländern schon weiter gediehen ist und Niedersachsen eigens dafür die Stelle einer Landesbeauftragten eingerichtet hat, erlebt die Überprüfung der »Verfassungstreue« im Süden eine Renaissance.
Davon zeugt der Kampf des Münchner Medienwissenschaftlers Kerem Schamberger, der sich im CSU-regierten Bayern dem drohenden Berufsverbot widersetzte und seine Anstellung erreichte. Im benachbarten Baden-Württemberg regiert mit Winfried Kretschmann seit 2011 ein grüner Ministerpräsident, der einst als Mitglied einer maoistischen Gruppe nur dank einer Solidaritätsbewegung seine Einstellung als Lehrer erreichte. Sein früheres Versprechen, frühere Berufsverbote im »Ländle« aufzuarbeiten, habe er bis heute nicht erfüllt, so Klaus Lipps.
Die Berufsverbotsopfer wollen es jedoch nicht bei der mitunter schmerzhaften Rückschau auf erlittenes Unrecht belassen, sondern nach vorne blicken und neue Bündnisse für eine stärkere Demokratiebewegung schmieden. Für sie sind aktuelle Proteste gegen Klimakatastrophe, Mietenwahnsinn oder Polizeigesetze ein Hoffnungsschimmer bezüglich eines neuen gesellschaftlichen Aufbruchs. »Darauf haben wir jahrelang gewartet«, sagt Lipps.
So kamen in der nachmittäglichen Diskussionsrunde auch drei jugendliche Frankfurter Aktivisten der Klimastreikbewegung »Fridays for Future« zu Wort, die am 20. September in der Bankenmetropole 40.000 Menschen aller Generationen auf die Straße gebracht hatte. »Wirtschaftlicher und sozialer Wandel gehören zusammen«, erklärte Asuka Kähler. Viele seiner Mitstreiter bei der jungen »Fridays for Future«-Bewegung hätten verstanden, dass eine profitorientierte Wirtschaftsordnung mit den Anforderungen an Klimagerechtigkeit unvereinbar und daher ein Systemwandel hin zu einer alternativen Gesellschaft nötig sei, so seine Überzeugung. »Fridays for Future« arbeite auch mit anderen Bewegungen solidarisch zusammen und lasse sich nicht davon abschrecken, dass die Anti-Braunkohle-Bewegung »Ende Gelände« in das Visier des Verfassungsschutzes geraten sei.
Solche Aussagen fanden bei den überwiegend älteren Anwesenden viel Zustimmung und lösten eine lebhafte Debatte über die System- und Eigentumsfrage sowie über Perspektiven, Chancen und Herausforderungen von Massenbewegungen aus.
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