- Politik
- Oppositionelle der DDR
Geschichtsvergessenheit stärkt die AfD
Der linke DDR-Oppositionelle Thomas Klein über Versuche der Rechtsaußenpartei, sich als Vollenderin der Revolution zu inszenieren
Herr Klein, 1989 waren Sie in der DDR Mitbegründer der oppositionellen »Initiative Vereinigte Linke«. Heute gibt sich die AfD als Interessensvertreterin der Ostdeutschen und beansprucht das Erbe der Herbstrevolution für sich. Eine Instrumentalisierung der Geschichte?
Die Losung der Demonstranten vom Oktober »Wir sind das Volk« hatten Pegida und AfD schon lange gekapert. Neuerdings tritt nun die AfD nicht nur mit dem Anspruch auf, die Erbin der Herbstrevolution 1989 in der DDR zu sein - sie sieht sich sogar als ihre Vollenderin. Gegen diese Erbschleicherei wehrt sich jedoch eine große Zahl ehemaliger DDR-Herbstrevolutionäre. Sie wehren sich zu Recht. Ihre Erklärung »Nicht mit uns« vom 20. August zeigt klare Kante gegen die AfD.
Wie auch sonst kann man sich gegenüber einer Partei positionieren, die sich als Speerspitze eines völkischen Kapitalismus, als islamophober Maueragitator gegen »volksfremde Scheinasylanten«, als Sozialstaatskeptiker und Klimakrisenleugner versteht und immer weiter ihrem rechtsradikalen »Flügel« erliegt.
Es gibt jedoch ein großes Aber: Die ehemaligen Herbstrevolutionäre schreiben in besagter Erklärung: »Mit der Wiedervereinigung erfüllten sich die Ziele der Revolution: Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, offene Grenzen, ein geeintes Europa und Wahrung der Menschenrechte [...] Das ist bereits unser Land.«
Wie überzeugend ist diese Argumentation als Kampfansage an die AfD?
Um der AfD zu begegnen, sind solche verfälschenden Aussagen über die gegenwärtigen Zustände in Deutschland und Europa, über die »Zielverwirklichungsquote« der DDR-Opposition sowie das affirmative Bekenntnis zur deutschen Staatsraison wirkungslos.
Bereits 1999 behauptete Joachim Gauck, nun wäre in Deutschland das erreicht, wofür die Bürgerbewegungen des Herbstes 1989 gekämpft hatten. Er musste sich damals von einer Handvoll Beteiligter daran erinnern lassen, was zum Thema Geheimdienste, Militärallianzen und Flüchtlingspolitik von der Opposition gefordert wurde, was die Sozialcharta und der Verfassungsentwurf des Runden Tisches auswiesen und dass davon so gut wie nichts übrig blieb.
Und trotzdem beruft sich die AfD auf 1989. Was wollte die damalige Opposition der DDR?
Anfang Oktober 1989, war in der DDR das Demonstrieren im Angesicht prügelnder Polizei und der Greiftrupps der Stasi noch ziemlich gefährlich. Und die herbstrevolutionären Demonstranten riefen den vermehrt hinzuströmenden Ausreisewilligen und deren Losung »Wir wollen raus!« ihre Losung »Wir bleiben hier!« entgegen. Dies war nicht allein Ausdruck ihrer Entschlossenheit, die DDR zu revolutionieren, sondern auch eine Drohung an die Adresse der SED-Bürokraten, die Opposition nicht mehr nachhaltig in den Westen »entsorgen« zu können.
Die politisch-alternativen Gruppen der 1980er Jahre opponierten gegen die SED-Politbürokratie für die Herstellung von Presse-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit innerhalb eines Prozesses umfassender Demokratisierung und Ökologisierung der Gesellschaft. Sie standen ein für die Solidarität mit der Zweidrittel-Welt. Die aus der DDR-Opposition der 1980er Jahre hervorgehenden neuen politischen Vereinigungen haben sich im Herbst 1989 mehrheitlich für einen wirklich demokratischen Sozialismus ausgesprochen.
Darauf beruft sich die AfD nun wirklich nicht - und kann es auch nicht mit ihrer Agenda gegen ein »versifftes links-rot-grünes 68er-Deutschland«. Gleichwohl müssen jene, welche die heutigen Herrschaftsverhältnisse in Deutschland von links kritisieren, auch mit jenen, die solche Verhältnisse gutheißen oder tolerieren, gemeinsam gegen die gefährlichen Netzwerke rechtspopulistischer Rattenfänger und neonazistischer Bünde vorgehen.
Lesen sie auch: Hoffen und Bangen im Oktober. Wolfgang Berghofer über den Anfang und das Ende der DDR.
Auf welche Erfahrungen bezieht sich dann die AfD?
Bereits Mitte November 1989, als das Demonstrieren ungefährlich geworden war, begann sich die Zusammensetzung der Massendemonstrationen merklich zu ändern: Erste patriotisch-nationalistische Losungen und rassistische Hassparolen waren zu hören. Mit dem Versagen der Bürgerbewegungen, ihrer opportunistischen »Wende in der Wende« und dem verhängnisvollen Taktieren der Modrow-Regierung wurde die Wiedervereinigung zu den Bedingungen des Westens sichtbar unaufhaltsam.
Das Flaggschiff des Anschlusses hieß damals »Allianz für Deutschland«. Auf die Idee, diese von der CDU-West kommandierte Allianz »AfD« zu nennen, ist damals niemand gekommen. Die »Vollendung der Einheit« war ab 1991 in ganz Deutschland - und nicht nur im Osten - von einer Kette fremdenfeindlicher und rassistischer Pogrome begleitet, die den Anstoß zu einer seither fortlaufenden Aushöhlung der deutschen Asylgesetzgebung durch die Regierungsparteien gaben. Jene gesamtdeutsche Minderheit, die - verstärkt seit 2015 - ihre fremdenfeindlichen Einstellungen im Zuge dieses Trends verfestigte, ist die eine Quelle des Zuspruchs für die AfD.
Wie lässt sich die heutige Zustimmung zur AfD insbesondere in Ostdeutschland erklären?
Monokausale Erklärungsversuche schlagen fehl. Allerdings verdichtet sich die Lesart, im Osten würden Allianz-für-Deutschland-Wähler von 1990 heute als AfD-Protestwähler ihrer Enttäuschung über ausgebliebene Kohl´sche Versprechungen Luft machen: Nachdem sie vergeblich auf Honeckers sozialpolitische Verheißungen warteten, sahen sie sich im ersehnten »Deutschland einig Vaterland« von Kohl getäuscht. Nachdem sie der SED und der CDU auf den Leim gegangen waren, wollen sie jetzt auf die AfD setzen.
Welche Rolle spielen hierbei die Erfahrungen der 1990er Jahre?
Inzwischen hört man selbst von den letzten staatsfrommen Schönrednern »blühender Landschaften«, dass da im Osten irgendwas »schief gelaufen« sei. »Schief gelaufen« ist aber gar nichts: Die Privatisierungs-Kahlschlag-Übernahme und Stillegungsagenda der Treuhand war die konsequente Umsetzung westdeutscher Kapitalinteressen.
Vor dem Hintergrund der AfD-Wahlerfolge im Osten geraten nun die sozial- und gesellschaftspolitischen Verwerfungen des 30-jährigen kapitalistischen Rekonstruktionsprozesses wieder vermehrt in den Blick. Und schon wird erneut der Osten als Treibsatz dieser politischen Strömung ausgemacht, obwohl bei der Bundestagswahl 2017 zwei Drittel aller AfD-Wähler in Westdeutschland zu Hause waren und auch das Führungspersonal dieser Partei vornehmlich von dort kommt.
Aber vor dem Hintergrund der vergleichsweise hohen Stimmenanteile dieser Partei in Ostdeutschland - im Schnitt doppelt so hoch, wie im Westen - wird in der Debatte um vermeintliche Frustreaktionen von Deindustrialisierungsopfern von manchen so getan, als ob fremdenfeindliche Einstellungen, neonazistische Neigungen oder rassistische Ausschreitungen die naturwüchsige Folge sozialen Abstiegs sein müssten. Diese Deutung ist mehr als fragwürdig.
Wieso gelingt es dann der AfD, diese Wende-Frustration aufzugreifen?
Die AfD hat den damaligen national-patriotischen Taumel in das nationalistische Projekt eines völkischen Kapitalismus gewandelt. Ihre Demagogie speist sich dabei aus zwei Quellen: Zum Einen aus der Geschichtsvergessenheit hinsichtlich der wirklichen Attribute der »Oktoberrevolution« von 1989, woran bundesdeutsche Hofhistoriker und auch manche damalige Herbstrevolutionäre kräftig mitgewirkt haben.
Zum Zweiten aus der Verdrängung und Beschönigung der Transformationsfolgen im Anschlussgebiet, welche die Regierungsparteien - darunter auch die PDS/Linkspartei - verantworten. Die AfD setzt auf die reaktionäre Kanalisierung dieser erlebten und in manchen Fällen nur eingefrorenen Widersprüche und Abwertungsserfahrungen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.