Werbung

Die Linke kehrt zurück

Ein neues Bündnis dürfte ins polnische Parlament einziehen.

  • Susanne Romanowski
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwar wird die nationalkonservative PiS bei der Parlamentswahl in Polen an diesem Sonntag allen Umfragen zufolge wieder gewinnen. Vielleicht erhält sie sogar so viele Stimmen wie noch nie. Zum Erfolg der politischen Rechten gibt es jedoch eine Gegenbewegung: Ein linkes Bündnis wird wieder ins Parlament zurückkehren. Nicht nur linke Publizist*innen vermuten, dass das Bündnis die politischen Machtverhältnisse in den kommenden Jahren deutlich verändern wird.

Der Einzug des neuen Linksbündnisses Lewica (Die Linke) in den Sejm, die größere Kammer des polnischen Parlaments, gilt als sicher. Umfragen sehen Lewica bei 10 bis 15 Prozent. Die Allianz besteht aus der sozialdemokratischen SLD, der linksliberalen Wiosna (Frühling) und der linken Kleinpartei Razem (Gemeinsam).

Das Bündnis startet nicht im Rahmen einer Koalition, vielmehr stehen auf der SLD-Liste auch Personen der beiden anderen Parteien. So braucht die Allianz insgesamt statt acht nur fünf Prozent der Stimmen - ein wichtiger Unterschied zu 2015. Damals misslang der Koalition »Vereinigte Linke« der Einzug ins Parlament. Aktuell ist deshalb keine Partei links der Mitte im Sejm vertreten.

Ein Vorteil der gemeinsamen Liste: Sie erreicht Wähler*innen verschiedener Milieus. Die SLD, de facto Nachfolgerin der bis 1989 regierenden kommunistischen PZPR, wird insbesondere auf dem Land gewählt. Sie agiert heute vor allem auf Kommunalebene, war aber 1993 bis 1997 und 2001 bis 2005 an der Regierung beteiligt. Gerade in den 1990ern unterstützte sie viele marktwirtschaftliche Reformen, trat aber in den letzten Jahren wieder stärker sozialdemokratisch auf und fordert etwa kostenlose Gesundheitsfürsorge und mehr Geschlechtergerechtigkeit.

Wiosna verdankt ihre Bekanntheit ihrem Gründer: Robert Biedroń hat es als erster offen schwuler, atheistischer Lokalpolitiker zu Erfolg gebracht. Wiosna-Wähler*innen leben meist in Großstädten, sind überdurchschnittlich gebildet und verdienen gut. Die Partei hat von allen drei die unternehmerfreundlichsten Positionen.

Razem macht nur einen marginalen Teil des polnischen Parteienspektrums aus - bei der Europawahl lag sie bei 1,24 Prozent -, vertritt aber eine relevante Bevölkerungsschicht: Junge Bewohner*innen mittlerer Städte, die sich trotz guter Bildung oft in prekären Arbeitsverhältnissen befinden. Razem teilt die weltanschaulich liberalen Ansichten von Wiosna und legt gleichzeitig einen größeren Fokus auf Arbeitnehmer*innenrechte und sichere Renten.

Und was eint alle drei linke Parteien? Eine Studie zum Wahlverhalten der Pol*innen ergab, dass 80 Prozent ihrer Stammwählerschaft die regierende PiS als Bedrohung für Polen sehen. Tatsächlich stehen die Inhalte des Bündnisses Lewica denen der nationalistischen, klerikalen Regierung oft entgegen: Die linke Allianz fordert eingetragene Partnerschaften für alle, straffreie Abtreibungen und einen säkularen Staat - auch wenn viele Lewica-Politiker*innen selbst katholisch sind. Das gilt etwa für die Soziologin und Razem-Kandidatin Joanna Bronowicka, die auf der Liste für Pol*innen im Ausland steht und in den vergangenen Tagen in Berlin für ihre Positionen geworben hat.

Im Programm stehen zudem ein schneller Kohleausstieg, eine Million neuer Sozialwohnungen und voll bezahlte Krankheitstage für Beschäftigte. Mögliche Einsparungen sieht Lewica etwa in der Säkularisierung und dem Verzicht auf neue Militärausstattung.

Für die Regierung ist Lewica kurzfristig keine große Konkurrenz, denn die PiS hat auch klassisch linke Themen aufgegriffen. Sie hat insbesondere ein flächendeckendes Kindergeld von knapp 115 Euro pro Kind eingeführt und ausgebaut. Ein spürbarer Unterschied für die Bevölkerung und an sich eine gute Maßnahme, findet Lewica. Die Zahlungen würde das Bündnis deshalb beibehalten. Gleichzeitig kritisiert Joanna Bronowicka: »Sie drücken Leuten das Geld in die Hand, aber solche Zahlungen müssen mit Investitionen in Institutionen einhergehen.« Mit so einer mühseligen Aufgabe seien aber keine Wahlen zu gewinnen. Die schnellen Erfolge der Regierung seien für die Linke frustrierend, sagt die Razem-Kandidatin: »Die PiS ist leider verdammt wählbar.«

Derzeit berichten polnische Medien über eine mögliche Verschmelzung von SLD und Wiosna nach der Wahl und berufen sich auf anonyme Quellen aus den Parteien. Von offizieller Seite gibt es dazu keinen Kommentar. Razem indes sieht eine Zusammenarbeit nach der Wahl skeptisch: Die Partei möchte im Sejm ihre eigene Fraktion bilden.

Die Parteienlandschaft hat das linke Bündnis bereits verändert: Als die nun oppositionelle Bürgerplattform (PO) 2005 an die Macht kam, war die polnische Politik geprägt durch eine Rivalität zwischen PO und PiS. Die Bürgerplattform kämpft seit Jahren mit dem Ruf, nur eine Anti-PiS-Partei zu sein. Linke Publizist*innen sind zuversichtlich, dass es Lewica gelingen könnte, diese Polarität aufzubrechen. Auch Ryszard Czarnecki, Mitglied des Europäischen Parlaments für die PiS, sagte kürzlich: »Für die nächsten Wahlen ist die Bürgerplattform noch eine Konkurrenz für uns, langfristig wird es Lewica sein.«

Die linke Allianz hat sich im richtigen Moment gefunden. »Ohne die PiS hätten wir nicht so viel Aufwind bekommen. Sie hat uns zusammengebracht«, sagt Bronowicka. Die Regierungspartei kann derweil mit einer sicheren Wiederwahl, vielleicht sogar mit ihrem besten Ergebnis aller Zeiten rechnen. Der Einzug der polnischen Linken wird diese Entwicklung nicht stoppen, aber sie ist wieder da.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.