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Kein Tag ohne Training
Wundercoach Dan Lorang hat nicht nur die Triathleten Anne Haug und Jan Frodeno in die Weltspitze geführt
Die eindringliche Stimme von Mike Reilly übertönt am Ende beim Ironman Hawaii alles. Spötter vermuten, die liebenswerte Sprecherlegende würde auch noch »You are an Ironman« röhren, wenn er im Grabe liege. Aber erst einmal hat er zu Lebzeiten noch genug zu tun. Als Dan Lorang am historischen Tag für den deutschen Triathlon zu seinen Erklärungen für den Doppeltriumph bei Männern und Frauen ansetzte, musste der Trainer von Jan Frodeno und Anne Haug absetzen. Nicht weil er ein »bisschen sprachlos« war, sondern weil Reilly bei jedem Ankömmling wieder ausrief, was seit Jahrzehnten als Ritterschlag am Ali’i Drive erklingt: »You are an Ironman!«
Von Reilly stammt auch der Spruch: »Seit 40 Jahren zieht es Menschen auf die schwarze Lavainsel, und wer sie einmal betreten hat, wird nie wieder derselbe sein.« Das gilt seit Sonntag für den Dreifachweltmeister Frodeno und die Premierensiegerin Haug. Vor Huldigungen konnte sich vor allem »Frodo« ob seiner Fabelzeit von 7:51:13 Stunden nicht retten. »Das war das Beste, was ich jemals bezeugen durfte«, kommentierte Hawaii-Rekordsieger Mark Allen. »Auf einem anderen Planeten«, wähnte ihn Konkurrent Sebastian Kienle. Und der entthronte Vorjahressieger Patrick Lange sagte in einer Videobotschaft bei Instagram: »Ich gratuliere Jan und Anne für ein großartiges Rennen.«
Mit dem Rummel umzugehen, wird für seine Nachfolger zwar nicht so strapaziös wie 3,86 Kilometer Schwimmen, 180,2 Kilometer Radfahren und 42,2 Kilometer Laufen auf Big Island - aber anstrengend allemal. Denn viele stellen jetzt die Fragen: Wie ist die Weltbestzeit bei einem bereits 38 Jahre alten Triathletin möglich? Und wie schafft es eine 36-jährige Triathletin, die nach einer langwierigen Fußverletzung so lange mit dem Training aussetzen musste, Weltmeisterin zu werden? Eine Antwort fällt auch Lorang nicht leicht, denn der Luxemburger sagte vorher: »Der Ironman auf Hawaii ist nicht planbar.«
Dafür ist die Leistungsfähigkeit des menschlichen Körpers vor allem mit seiner mentalen Komponente nicht berechenbar genug. Gleichwohl: Wenn er selbst Laufen gegangen sei, verriet der 40-Jährige, habe er vom Doppelsieg seiner deutschen Zöglinge geträumt, »aber, dass das passieren könnte, habe ich nicht gedacht.« Seine Erklärung bei Frodeno: »Jan war wirklich so fit wie noch nie, auch in den ganzen Trainingswerten. Er war schon letztes Jahr gut drauf, dann kam die Verletzung. Jetzt haben wir einen guten Weg gefunden, um das eine oder andere Prozent rauszuholen. Trotz eines Alters kann er die Leistung immer weiter steigern.« Bei Haug sei es vielleicht Glück gewesen, die vergangenen Monate »mehr in Radfahren und Schwimmen« zu investieren. Dass sie hernach einen solchen Lauf hinzaubern würde, habe »mit ihrer Grundfitness« zu tun, denn »die war besser als im Vorjahr.«
Lorang scheint diesen Sommer ein Händchen zu haben, goldene Stellschrauben zu finden. Seitdem er im deutschen Profiradteam Bora-hansgrohe mitarbeitet, kletterte Emanuel Buchmann unter seinen Fittichen in die Weltspitze. Was die Außendarstellung des zurückhaltenden Radfahrers angeht, könnte der Unterschied zum charismatischen Triathleten kaum größer sein. »Sie sind einfach andere Typen, aber was sie gemeinsam haben: Sie glauben an das, was sie tun, sie machen das ohne Kompromisse, sie wollen beide den maximalen Erfolg«, sagte Lorang während der Tour de France. »Beide geben dir als Trainer das Gefühl: Wir wollen Rennen gewinnen.« Aber wollen das andere nicht auch? So gibt es in der Radsportszene vereinzelt kritische Stimmen, was das Wirken des Wundertrainers angeht. Aber mehr als Geraune ist das bisher nicht.
Faris Al-Sultan verfolgt Vorträge seines Vorgängers bei der Deutschen Triathlon-Union (DTU) mit größter Bewunderung. Der Bundestrainer stellte kürzlich bei einem A-Trainerlehrgang in Leipzig fest, dass er vieles von Lorangs Ausführungen in seiner aktiven Zeit selbst ausprobiert habe. »Wir konnten die physiologischen Vorgänge nur nicht mit Fachbegriffen erklären.« Nun ist Lorang keiner, der seine Athleten überfrachtet. Der kundige Anleiter sorgt oft für Abwechslung, simuliert häufig den Wettkampfcharakter. Frodeno sagt: »Mein Trainer denkt sich jeden Tag etwas Neues aus.« Ans Aufhören denkt er auch deshalb auf dem Zenit seiner Schaffenskraft nicht: »Ich liebe diesen Sport, das Ganze ist ein Traum und ein verdammt cooler Job.« Mindestens noch ein Jahr will er weitermachen.
Als der Triathlon-Olympiasieger 2013 aus dem Verbandssystem ins Ironman-Segment wechselte und sich seine Mannschaft zusammenstellte, bekam Lorang schnell die Hoheit in den Trainingsfragen übertragen. Die beiden vertrauten sich seit der gemeinsamen Zeit am Olympiastützpunkt Saarbrücken, wo auch die Verbindung zu Haug herrührt. »Frodo« legte in seinem Buch »Eine Frage der Leidenschaft« beispielhaft dar, wie sich der entbehrungsreiche Trainingsalltag gestaltet. Selbst an so genannten »Entlastungstagen« schwimmt er fünf Kilometer und läuft. In einer Woche summiert sich sein Pensum auf 25 Kilometer Schwimmen, 600 Kilometer Radfahren und bis zu 110 Kilometer Laufen. Dazu kommen dreimal Kraftraum und siebenmal Physiotherapie bei seinem spanischen Helfer Alberto Lorza Planes. Das Motto: »Tag für Tag, Woche für Woche - Training, Training, Training.«
Sechs Monate wohnt Frodeno in seinem Haus mit Garten im katalanischen Girona. Den anderen Teil des Jahres lebt die Familie wegen seiner australischen Ehefrau Emma, selbst eine erfolgreiche Triathletin, nördlich von Brisbane an der Ostküste im Triathlon-Eldorado Noosa. Trainiert wird hier wie dort täglich. Gerne bis zehn Uhr abends. »Danach werte ich die Trainingsergebnisse aus und gehe meist um elf Uhr ins Bett - ein Vollzeitjob«, schildert Frodeno in seiner Biografie. Beim Schwimmen vertraut er übrigens in Australien dem ehemaligen kanadischen Nationaltrainer John Rodgers, der mit 81 Jahren als harter Hund am Beckenrand wacht. Haug wird in München im Wasser von Michael Hahn angewiesen, der mehrere Schwimmbücher herausgegeben hat. Interessant: Dan Lorang will bei beiden Ironman-Weltmeistern kein Limit zulassen. Sein Credo: »Die Athleten setzen Ziele - nicht der Trainer.« Für Bundestrainer Al-Sultan steht fest, dass sich die bei Frodeno und Haug verwendeten Ansätze schwerlich übertragen lassen. »Triathlontraining ist eine hochindividuelle Sache.« Nur für Mike Reilly sind alle gleich, wenn sie in Hawaii das Ziel ihrer Träume erreichen.
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