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»Man hält den Leuten eine Illusionsmöhre hin«
Der Sozialwissenschaftler Stefan Sell glaubt nicht, dass das »Paketboten-Schutz-Gesetz« wirkliche Verbesserung für die Beschäftigten bringt
Im Bundestag hat am Donnerstag die erste Lesung des »Paketboten-Schutz-Gesetzes« stattgefunden. Hält der Entwurf, was sein Name verspricht?
Der Name »Paketboten-Schutz-Gesetz« zeigt, dass man die Probleme in der Zustellerbranche anerkennt. Angesichts der miesen Bedingungen für viele der mehr als 200.000 Beschäftigten ist jede Verbesserung begrüßenswert. Betrachtet man das Vorhaben aber im Detail, habe ich Zweifel, ob es das Versprechen des besseren Schutzes einlösen kann.
Warum bezweifeln Sie das?
So wie das Gesetz in der Öffentlichkeit auch vom Arbeitsminister präsentiert wird, erweckt es die Hoffnung, dass damit die Arbeitsbedingungen der Zusteller verbessert werden. Dabei geht es im Gesetz weder um angemessene Löhne, noch um die Arbeitszeit, sondern nur um Sozialbeiträge. Die Nachunternehmerhaftung, mit der das Ganze erreicht werden soll, ist leider kein besonders scharfes Schwert.
Warum sehen Sie die Nachunternehmerhaftung kritisch?
Die Nachunternehmerhaftung selbst ist nicht das Problem. Aber ihre Umsetzung. Um einen Betrug überhaupt nachweisen zu können, braucht es Kontrollen. Mehr Personal oder zusätzliche Mittel für den Zoll, um die Einhaltung überhaupt zu überprüfen, sieht der Gesetzentwurf aber nicht vor. Das ist ein entscheidendes Manko.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verweist allerdings auf die Erfolge der Nachunternehmerhaftung in anderen Branchen wie im Baugewerbe oder der Fleischindustrie.
Wo bleiben da bitte die Erfolge? Die Bauwirtschaft steht fast schon lehrbuchhaft für eine vom Sub-Sub-Subunternehmerwesen durchzogene Branche mit einem hohen Maß an Schwarzarbeit. Da hat sich nichts geändert. Und das, obwohl der Zoll hier, gemessen an seinen Ressourcen, schwerpunktmäßig kontrolliert. In der Fleischindustrie gibt es seit der Nachunternehmerhaftung sogar weniger Kontrollen. Wenn man das jetzige Gesetz als Durchbruch verkauft, hält man den Leuten eine Illusionsmöhre hin.
Mehr Kontrollen wären also wichtig, sie führen aber nicht zwangsläufig zum Erfolg. Woran hapert es dann?
Das Gesetz eröffnet zwei Schlupflöcher für Betriebe. Die Unternehmen haben die Möglichkeit, sich über eine Unbedenklichkeitsbescheinigung oder unabhängige Eignungsprüfungen, von der Haftung freizukaufen.
Wie kann ich mir das vorstellen?
Die Unbedenklichkeitsbescheinigung stellt die Krankenkasse dafür aus, dass Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden. Allerdings wissen die Kassen nur, dass Beiträge abgeführt werden. Wenn es aber gleichzeitig Arbeitszeitbetrug gibt und die Beschäftigten mehr arbeiten, als für sie Geld abgeführt wird, kann das die Krankenkasse gar nicht wissen. Die Eignungsprüfung hält natürlich ein gewisses Level an Qualifizierung fest, sagt im Endeffekt nichts darüber aus, ob ich bei den Sozialbeiträgen trickse oder nicht. Das ist ein bisschen wie bei Wilke-Wurst, die übrigens einige Zertifikate im Qualitätsmanagement hatten. Und es gibt noch ein weiteres Problem.
Das wäre was?
Selbst wenn wir ausreichend Zollbeamte und Kontrollen hätten, würde es kaum etwas nützen. Weil es keine Arbeitszeiterfassung gibt. Der Beginn, Pausen und das Ende der täglichen Arbeit müssen derzeit gar nicht protokolliert werden. Wie soll man überprüfen, ob Sozialabgaben korrekt bezahlt werden, wenn man die tatsächliche Arbeitszeit gar nicht kennt? Das kritisieren sowohl die Linkspartei als auch die Grünen in eigenen Anträgen im Bundestag. Da müsste man unbedingt ran.
Eingangs hatten Sie gesagt, dass das Gesetz gar nicht die Arbeitsbedingungen an sich zum Ziel hat. Wie könnte man die verbessern?
Ich plädiere für einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Branche. So könnte man verbindlich gute Löhne und Arbeitsbedingungen für alle schaffen. Der Unterbietungswettbewerb zu Lasten der Beschäftigten und die Anreize, Arbeit auszulagern, würde verschwinden. Dann würden wir über wirkliche strukturelle Verbesserungen für die Beschäftigten reden.
Die Linkspartei schlägt eine Art Lizenz bei den Paketdiensten analog zu den Postzustellern vor. Dann würde man die Auftragsvergabe an dritte ausschließlich auf die zeitlich befristete Bewältigung von Auftragsspitzen reduziert. Das fände ich pfiffig, aber man müsste auch sehen wie leicht das umzusetzen ist. Es würde in jedem Fall die Sub-Sub-Subunternehmerkultur, die man schlecht überprüfen kann, eindämmen. Ich plädiere für einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Branche.So könnte man verbindlich gute Löhne und Arbeitsbedingungen für alle schaffen. Der Unterbietungswettbewerb zu Lasten der Beschäftigten und die Anreize, Arbeit auszulagern, würde verschwinden. Dann würden wir über wirkliche strukturelle Verbesserungen für die Beschäftigten reden.
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