SPD bangt um den Chefsessel in Hannover

Umfrage zur Oberbürgermeisterwahl in Hannover: Kandidaten von CDU und Grünen liegen vorn

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Sinnend auf Hannovers gefrorenen Maschsee schauend, steht Herbert Schmalstieg, ehemals Oberbürgermeister der Landeshauptstadt, am Ufer jenes Gewässers. So stellt der Zeichner den Sozialdemokraten auf dem Adventskalender dar, der alljährlich Prominente der Niedersachsen-Metropole vor bunter Stadtkulisse vereint. Schmalstieg gehört zur Stammbelegschaft des Kalenders. Auf dessen aktueller Ausgabe erscheint der von 1972 bis 2006 amtierende OB etwas in sich gekehrt. Denkt er darüber nach, dass die Zeit der SPD-Oberbürgermeister, die seit 1946 ununterbrochen den Chefsessel im Rathaus besetzen, am kommenden Sonntag zu Ende gehen könnte?

Es wären berechtigte Gedanken. Denn die Aussichten der Sozialdemokraten, nach der Direktwahl am 27. Oktober den dann sechsten OB aus ihren Reihen in die Beletage des Wilhelminischen Protzbaus zu entsenden, sind ziemlich trübe. Zumal die Partei bei der Werbung für ihren Kandidaten nicht auf die Erfolge populärer Oberbürgermeister verweisen und nicht argumentieren kann, deren Leistungen gelte es fortzusetzen. Etwa die des beliebten, aus der Arbeiterschaft kommenden August Holweg, der von 1956 bis 1972 die Stadt repräsentierte. Und auch auf einem gleichermaßen geschätzten Amtsvorgänger wie dem seinerzeit mit 29 Jahren als Deutschlands jüngsten OB gewählten Herbert Schmalstieg können die Genossen 2019 nicht aufbauen.

Stattdessen müssen sie mit Ex-OB Stefan Schostok leben, gegen den die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts schwerer Untreue Anklage erhoben hat. Weil ihn die Strafverfolger verdächtigen, von unrechtmäßigen Gehaltszahlungen an Spitzenbeamte gewusst zu haben, hatte sich der 55-Jährige im April in den Ruhestand versetzen lassen. Schostoks Schatten und mit ihm die »Rathausaffäre« um die strittigen Vergütungen schwebt nun über der OB-Wahl und bestärkt jene Einwohnerinnen und Einwohner in ihrer Ansicht, die seit Jahrzehnten schimpfen: In Hannovers Stadtverwaltung herrsche SPD-Filz und Vetternwirtschaft, ohne Parteibuch sei eine Karriere dort aussichtslos.

Eine Karriere als Oberbürgermeister dürfte dem Kandidaten der SPD, Volkswirt Marc Hansmann (49), Vorstandsmitglied des städtischen Energieversorgers Enercity und Ex-Stadtkämmerer, keineswegs sicher sein. Denn laut einer aktuellen Umfrage der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung« (HAZ) liegt der parteilose Mitbewerber Eckhard Scholz, der für die CDU antritt, mit 28 Prozent der möglichen Stimmen in der Wählergunst an der Spitze. Der 56-jährige Maschinenbauingenieur war bis 2018 im VW-Konzern auf Vorstandsebene tätig, hatte das Unternehmen verlassen, um »was Neues« zu machen - nun lockt ihn die Kommunalpolitik.

Auf Platz zwei der Umfrage landete Belit Onay (38), Abgeordneter der Grünen-Landtagsfraktion; ihn würden 26 Prozent der Befragten wählen. Einer dieser drei Männer könnte Nachfolger von Schostok werden. Nicht gleich am kommenden Sonntag, denn es ist wahrscheinlich, dass kein Kandidat mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommt und deshalb für die zwei Bewerber mit den besten Ergebnissen eine Stichwahl angesetzt wird; sie ist für den 10. November geplant.

Die sieben übrigen Kandidatinnen und Kandidaten werden sich wohl kaum ernsthaft eine Chance auf den OB-Stuhl ausrechnen. Weder Ex-Bundeswehrgeneral Joachim Wundrack (AfD), noch Jessica Kaußen (LINKE) sowie die Kandidaten von Piraten und »Die Partei« - die mit zwei Bewerbern ins Rennen geht - sowie zwei Einzelbewerberinnen. Zu wenig Stimmen spricht ihnen die Umfrage zu. Zu bedenken ist aber, dass sich 39 Prozent der Befragten noch nicht für einen Kandidaten entscheiden wollten.

Interessant angesichts der Frage, wen die Hannoveraner als Rathauschef sehen möchten, dürfte nicht zuletzt ein Blick auf das ZDF-Politbarometer sein, das von potenziellen Wählerinnen und Wählern im Bundesgebiet wissen wollte, für wen sie sich entscheiden würden, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre. Für die CDU votierten 27 Prozent, für die Grünen 26. Zahlen, die Hannovers OB-Kandidaten Scholz und Onay mit Wohlgefallen registriert haben dürften. Für die SPD zeigt jenes Barometer nur 14 Prozent. Keine mutmachende Zahl für Hansmann - und vielleicht mit ein Grund, weshalb Herbert Schmalstieg auf dem Adventskalender scheinbar nachdenklich aufs Eis des Maschsees blickt. Wird die über 70 Jahre in Sachen OB sieggewohnte SPD Hannovers einen schmerzhaften Einbruch erleiden, endet die Serie sozialdemokratischer Stadtchefs?

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