Der Amazon-Turm wackelt

Die Pläne für »Edge East Side Berlin« stoßen auf Widerstand

  • Georg Sturm
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Bau eines der größten Hochhäuser Berlins steht auf der Kippe. Nachdem der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg die Baugenehmigung für das Projekt »Edge East Side Berlin« Anfang September bereits erteilt hatte, gab Bezirksbaustadtrat Florian Schmidt (Grüne) bekannt, er lehne den Bauplan des Turms ab. Der Grund: Der finale Entwurf im Bauantrag unterscheide sich grundlegend von den ersten Entwürfen aus dem Gutachterverfahren. In einem Schreiben wandte sich Schmidt an Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (LINKE) und Senatsbaudirektorin Regula Lüscher und schlug einen neuen Wettbewerb für die Vergabe des Baus vor.

Die Debatte um den 140 Meter hohen Büroturm hat an zusätzlicher Brisanz gewonnen, seit kürzlich öffentlich wurde, dass der Online-Versandhändler Amazon einen großen Teil des Turms beziehen will. Der umstrittene US-Konzern kündigte an, 28 von 35 Stockwerken des Hochhauses nach dessen voraussichtlicher Fertigstellung im Jahr 2023 mieten zu wollen. Etwa 3400 Mitarbeiter*innen aus der Entwicklung sollen dort untergebracht werden. Die Bekanntmachung rief prompt mehrere stadtpolitische Initiativen auf den Plan, die ankündigten, gegen den Einzug Amazons und die dadurch zu erwartende Verdrängung protestieren zu wollen.

Ende September hatte das Baukollegium den Entwurf wegen seiner mangelhaften Qualität abgelehnt und sich ausdrücklich von dem Projekt distanziert. Das Gremium aus sechs unabhängigen Expert*innen und der Senatsbaudirektorin berät einzelne Projekte von gesamtstädtischer Bedeutung. Nachdem das »Edge East Side« insgesamt viermal dort vorgestellt worden war, bewerteten die Mitglieder des Baukollegiums die vorliegenden Entwürfe auch in der vierten Sitzung als unzureichend. Da der Turm aufgrund seiner Höhe von rund 140 Metern und seines prominenten Standorts eine erhebliche Auswirkung auf das Stadtbild habe, sei eine überzeugende Fassadenausbildung und Gestaltung des Gebäudes von besonderer Bedeutung, betont Schmidt in einer Stellungnahme. »Ein derartig dominantes Gebäude darf gestalterisch nicht übers Knie gebrochen werden«, gab der Baustadtrat über Twitter bekannt. Die Gestaltung der Fassade aus dem Bauantrag sei »unpassend und banal« und der Entwurf »quasi nicht mehr zu retten«.

Das Stadtentwicklungsamt des Bezirks schlägt nun vor, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen und der Bezirk die Erfüllung des Vertrags durch den Eigentümer verlangen und diese in Abstimmung mit dem Senat »bis hin zu einer Klage« durchsetzen solle. Weder die zuständige Senatsverwaltung noch der Bauherr, der niederländische Projektentwickler OVG Real Estate, haben bisher zu dieser Forderung Stellung genommen.

Drastische Kritik kam vonseiten der Opposition. Der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion Berlin, Christian Gräff, sprach von einem »Kulturkampf gegen jeden Investor von Weltruf«. Grünen-Stadtrat Schmidt verhindere mit seinem Vorstoß »großartige Zukunftschancen« für Bezirk und Stadt. Schmidt hingegen stellt klar, dass die Entscheidung des Bezirks nichts mit Amazon zu tun habe und bereits getroffen worden sei, bevor überhaupt bekannt wurde, dass der Online-Konzern Mieter werde.

Konstantin Sergiou von der Nachbarschaftsinitiative »Bizim Kiez« sieht in dem Vorstoß von Baustadtrat Schmidt den »Ausdruck eines erhöhten politischen Selbstbewusstseins«. »Die Stadt verkauft sich weiterhin, aber zu einem höheren Preis«, sagt Sergiou zu »nd«. Der Aktivist kritisiert Amazon als »hochumstrittenes Internet-Unternehmen«, das in der Vergangenheit durch prekäre Arbeitsbedingungen, Umgehung von Steuerzahlungen und die Zusammenarbeit mit US-amerikanischen Abschiebebehörden aufgefallen sei.

»An diesem Beispiel lassen sich antirassistische und steuerpolitische Kämpfe mit dem Einsatz gegen Gentrifizierung verbinden«, stellt auch John Malamatinas von »Make Amazon Pay« fest. Vorbild für die junge Initiative, die Amazon-Angestellte beim Arbeitskampf unterstützt, sind die Anwohner*innen-Proteste gegen die Eröffnung einer neuen Zentrale von Amazon in New York. Dort wurde Anfang des Jahres die von der Stadt subventionierte Ansiedlung des Internet-Giganten verhindert. »Welche Auswirkungen das haben kann, sieht man am Stadtbild von Seattle, dem Hauptsitz von Amazon, wo viele Menschen verdrängt wurden und zum Teil sogar in Zelten schlafen müssen«, erklärt Malamatinas.

Auch in Berlin können die stadtpolitischen Initiativen auf erfolgreichen Widerstand zurückblicken: Im vergangenen Jahr war es dem Bündnis verschiedener Nachbarschaftsinitiativen unter dem Namen »No Google Campus« gelungen, die geplante Eröffnung eines Co-Working-Space für Start-ups im Kreuzberger Umspannwerk zu verhindern. Anders als bei dem Google-Campus liege das Amazon-Hochhaus zwar nicht unmittelbar in einem Wohngebiet; allerdings wäre Amazon nach Lieferando und Zalando bereits der dritte große Technologiekonzern in dem Stadtteil, erklärt Sergiou. »Das strahlt auf die umliegenden Nachbarschaften aus und wird als Wertfaktor eine Rolle spielen.«

Wie Senat und Bezirk mit dem Bauprojekt verfahren werden, ist bislang offen. Sicher jedoch ist: Die Nachbarschaftsinitiativen werden die gewonnene Zeit nutzen, um sich auf den Widerstand gegen den Amazon-Umzug und den drohenden Gentrifizierungsschub vorzubereiten.

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