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»Wir betrachten uns nicht als Option B«
Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) über eine mögliche Koalition mit der ÖVP
Frau Ernst-Dziedzic, kommt es zu einer Koalition zwischen der ÖVP und den Grünen?
Sie werden sich jetzt nicht wundern, wenn ich mich nicht festlegen lasse. Wir haben noch ein paar Sondierungsrunden. Wir sind zwei Parteien, die für unterschiedliche Positionen gewählt wurden. Aber wir haben eine Lage, in der die Gesellschaft in Österreich gespalten ist - und es ist der Wunsch da, dass man da mehr zusammenkommt. Das nehmen wir sehr ernst, und wir laufen vor der Verantwortung nicht davon. Wir müssen jetzt erst einmal entscheiden, ob wir überhaupt in Verhandlungen treten. Erst dann wird es einen konkreten Fahrplan geben.
Die Grünen wurden gerade wieder ins Parlament gewählt, jetzt stehen sie möglicherweise bald erstmals in der Regierung - geht das nicht ein wenig schnell?
Ich finde, dass wir höchst professionell arbeiten. Wir haben eine neue Führung, wir haben neue Gesichter. Wir stehen nicht vor dem Nichts. Es wäre unseriös, wenn wir nicht schon im Sommer vorgeplant hätten - und das haben wir getan. Der Fokus liegt jetzt auf dem Nationalratsklub, wir haben viele neue Abgeordnete. Aber wir schweben ja nicht auf einer Wolke, sondern sind eingebettet in starken Strukturen, auch und gerade in den Bundesländern. Das hat vor allem die Zeit außerhalb des Nationalrats gezeigt.
Die Grünen waren in den letzten Jahren die schärfsten Kritiker der ÖVP-FPÖ-Koalition - wenn auch nicht im Parlament. Besteht nicht ein Glaubwürdigkeitsproblem, falls es zu einer gemeinsamen Regierung kommen sollte?
Was wir in den letzten Jahren kritisiert haben, war die Rechtsverschiebung in der gesamten Republik durch die Regierungsbeteiligung der FPÖ. Wir haben mittlerweile die dritte Liederbuchaffäre (Nazitexte in Liederbüchern FPÖ-naher Studentenverbindungen, Anm. der Red.) in der FPÖ. Wir haben den höchsten Burschenschafteranteil im FPÖ-Klub. Das war der Hauptkritikpunkt der Grünen - dass sich die ÖVP mit einer solchen Partei auf eine Koalition eingelassen hat. Für uns ist die FPÖ regierungsunfähig: Der Skandal um das BVT (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, FPÖ-Ex-Innenminister Herbert Kickl ließ dort eine umstrittene Razzia durchführen, (Anm. der Red.) und das Ibiza-Video haben das gezeigt. Da wollen wir nicht mehr hin. Auch deshalb nehmen wir unsere Verantwortung jetzt sehr ernst.
Wo muss sich die ÖVP denn bewegen? Und was sind die roten Linien für die Grünen? Stichwort Migration, Klimaschutz, Sozialversicherungen.
Ich werde während der Sondierungsgespräche keine roten Linien definieren. Nur, natürlich geht es in einer Koalition, beim Sondieren und beim Verhandeln darum, sich einzelne Bereiche anzusehen und auszuloten, ob es einen gemeinsamen Nenner und Kompromiss geben kann. Beim Thema Migration zum Beispiel. Da wird sehr oft mit Zuschreibungen gearbeitet, die nicht stimmen. Die Grünen suchen in der Migrationsthematik als vielleicht einzige Partei in Europa nach pragmatischen Lösungen. Wir erkennen, dass es hier Probleme gibt. Aber wir wollen dieses Thema sachlich debattieren.
Und wo sind die Schnittmengen zwischen Grünen und ÖVP?
Ich denke doch, dass die ÖVP sieht, dass die Klimakrise vor der Tür steht, dass der Druck seitens der Jugend steigt, und dass wir Verantwortung tragen für die nächsten Generationen. Da braucht es eine radikale Verbesserung bei den politischen Maßnahmen. Und ich denke, dass es Konsens ist, dass wir da etwas tun müssen.
Stichwort Themenhoheit in einer möglichen Koalition. ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat sich gegenüber der FPÖ als nicht unbedingt einfach zu handhabender Koalitionspartner erwiesen. Wie wollen die Grünen damit umgehen?
In einer etwaigen Koalition sollte es nicht um Themenhoheit, sondern um Augenhöhe und gemeinsame Zielsetzungen gehen. Auch das wäre eine spannende Veränderung.
Sowohl ÖVP als auch FPÖ haben ihre Koalition wiederholt als das Idealpaket gepriesen - nur, dass eben Ibiza dazwischen kam. Fühlt man sich da nicht ein wenig als Plan B?
Wir betrachten uns nicht als Option B, sondern als jene Partei, die bei den Wahlen neben der ÖVP am meisten Zuspruch bekommen hat.
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