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Akademische Suchbewegungen
Eine Konferenz in Berlin diskutiert die Erneuerung des Klassenbegriffs - mit einem ökologischen Schwerpunkt
Viel hatten sie sich vorgenommen. Rund 100 Teilnehmer*innen waren der Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) und des Instituts für Soziologie der Universität Jena nach Berlin gefolgt, um an der Tagung »Neosozialistische Klassenpolitik in der ökonomisch-ökologischen Doppelkrise« am vergangenen Freitag und Samstag teilzunehmen. Mario Candeias, Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der RLS, skizzierte zu Beginn die drei Linien, an denen sich die Tagung entlanghangeln sollte: Erstens sollte es um die Forschungsergebnisse des Projekts Klassenanalyse Jena (PKJ) um Klaus Dörre gehen. Zweitens wurden vielfältige Erweiterung klassenanalytischer Fragestellungen diskutiert, und drittens sollte die Klassenpolitik um eine ökologische Dimension ergänzt werden.
Das PKJ arbeitet seit einiger Zeit wissenschaftlich an einer Erneuerung des Klassenbegriffs. Zahlreiche Forschungsergebnisse des Projekts wie über den Zusammenhang zwischen Klasse und Geschlecht, Rassismus sowie Öffentlichkeit wurden vorgestellt und diskutiert. Diese meist nur beschreibendenden - ohne Zweifel aber sinnvollen und guten - Darstellungen blieb in erster Linie für Soziolog*innen interessant. Daneben gab es zahlreiche Workshops, in denen Erweiterungen des Klassenbegriffs diskutiert wurden. In diesen Workshops kam der Untertitel der Konferenz »Tagung zu Klassenanalyse und -politik« zum Tragen: So besprachen Gewerkschafter*innen mit Soziologen und Studierende mit Aktiven aus der Linkspartei über Themen wie die Wahlergebnisse der AfD, Klassenfraktionen und Abstiegsängste ebenso wie über Veränderungen in der Automobilindustrie.
Eine solche Zusammenkunft ist sicherlich sinnvoll, jedoch wurde durch die Themenbreite und die teilweise sehr langen Wortbeiträge eine konsistente und konzentrierte Diskussion nicht immer möglich. Zwar wurde theoretische Analyse und konkrete Politik zusammen diskutiert, dabei war aber nicht immer klar, auf welchem Feld man sich gerade befand. Einig war man sich in der Existenz einer Klassengesellschaft in der BRD, in der der Klassenkampf jedoch verdeckt ablaufe. Klaus Dörre sprach von einer »demobilisierten Klassengesellschaft«. So stehe der geringe gewerkschaftliche Organisationsgrad von lediglich 18 Prozent einem wachsenden Bewusstsein steigender sozialer Ungleichheit gegenüber.
Am zweiten Tag kamen zunehmend Aktivist*innen zu Wort: Vertreter*innen von »Fridays for Future« diskutierten beispielsweise mit Hans-Jürgen Urban von der Industriegewerkschaft Metall über radikal-ökologische Klassenpolitik und Grünen Sozialismus. Sie kamen zum gemeinsamen Schluss, die Klimafrage müsse als Klassenkonflikt betrachtet werden. So wurde dabei der enge Zusammenhang zwischen Klimapolitik und sozialer Ungleichheit diskutiert und erörtertet. So gehe der CO2-Ausstoß in erster Linie auf die Produktion von Luxusgütern zurück. Ebenso sei die untere Hälfte der Weltbevölkerung für nur drei Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich.
Diese Verhältnisse ließen sich laut Candeias nur mit einer »radikal ökologischen Klassenpolitik« verändern. Dafür müssten Umweltbewegungen und Gewerkschaften »große Bündnisse schmieden«, wie es Nina Papenfuß von »Students for Future« ausdrückte. Auch von Gewerkschaftsseite wurde dies unterstützt. Hans-Jürgen Urban machte aber auch auf kulturelle Unterschiede zwischen Klima- und Gewerkschaftsbewegung aufmerksam. Daher müsse man daran arbeiten, einen »Umgang zu finden, damit die Bündnisse nicht direkt bei jedem Konflikt um die Ohren fliegen«.
Ebenso bestand Einigkeit darin, dass individuelle Lösungsstrategien alleine nicht ausreichen werden. »Besser als den SUV selbst nicht zu fahren ist, den SUV nicht zu bauen«, drückte Klassenforscher Klaus Dörre dies aus und forderte damit einen grundlegenden Wandel der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion. Sein jüngst erschienenes Buch heißt dahingehend auch »Neosozialismus«.
Für zwei Tage war die Themenbreite der drei Stränge, die jeweils eine eigene Konferenz verdient hätte, zu viel. Ebenso zeigte die Konferenz das Problem der aktuellen wissenschaftlichen Debatten um Klassenpolitik auf: Sie bleiben solange akademisch, bis es ihnen gelingt, sich in den konkreten Klassenkämpfen zu verfestigen. Dies wird dann jedoch nicht mehr mit Konferenzen erreicht.
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