Labour-Chef wirft Johnson »Missbrauch« des Brexits vor

Jeremy Corbyn warnt vor Geheimverhandlungen zwischen Großbritannien und den USA / Hoyle neuer Parlamentspräsident

  • Lesedauer: 3 Min.

London. In seiner ersten großen Wahlkampfrede hat der britische Oppositionsführer Jeremy Corbyn vor einer Wiederwahl von Premierminister Boris Johnson gewarnt. »Bei dieser Wahl versucht Boris Johnson, den Brexit zu missbrauchen, um unser nationales Gesundheitssystem (NHS) und die Werktätigen dieses Landes zu verkaufen«, sagte der Chef der Labour-Partei am Dienstag im südenglischen Harlow. Großbritannien und die USA würden im Geheimen über Medikamentenpreise verhandeln, zudem würden die Vereinigten Staaten vollen Marktzugang für US-Pharmaprodukte verlangen. Labour wirft der konservativen Regierung vor, sie wolle bei einem Freihandelsabkommen mit den USA den NHS »verscherbeln«. Dadurch würden etwa Medikamente deutlich verteuert. In Sprechchören riefen Corbyns Anhänger: »Nicht zum Verkauf!« Johnson und US-Präsident Donald Trump haben Absprachen dementiert.

Die vorgezogene Unterhauswahl ist für den 12. Dezember geplant. Offiziell beginnt der Wahlkampf erst nach der Auflösung des Parlaments in der Nacht zu diesem Mittwoch.

Johnson betonte bei einer Kabinettssitzung die Erfolge seiner Regierung. In einem Brief warf der Premier seinem Herausforderer Corbyn vor, noch keinen klaren Brexit-Plan im Falle eines Labour-Wahlsiegs vorgelegt zu haben. Corbyn betonte in Harlow erneut, das Thema werde innerhalb von sechs Monaten vom Tisch sein. Der Sozialdemokrat will einen eigenen Deal mit der EU aushandeln und anschließend den Briten in einer Volksabstimmung vorlegen. Es werde keine Wiederholung des Brexit-Referendums von 2016 sein, sagte Corbyn. »Dieses Mal wird die Wahl sein, mit einem vernünftigen Abkommen die EU zu verlassen oder drinzubleiben.«

Die Liberaldemokraten, die vehement für einen EU-Verbleib kämpfen, kündigten an, sich nach der Wahl nicht an einer Koalition zu beteiligen. Weder Johnson noch Corbyn seien für das Amt des Premierministers geeignet, so Parteichefin Jo Swinson. Sie will selbst Premierministerin werden. Angesichts des britischen Mehrheitswahlsystems, das die großen Parteien bevorzugt, werden Swinson aber kaum Chancen ausgerechnet.

Während sich die drei Parteichefs erneut dem Votum der Bürger stellen, haben mehrere Unterhausabgeordnete angekündigt, wegen zunehmender Drohungen gegen sich nicht wieder anzutreten. »Ich habe Todesdrohungen erhalten, Leute, die getwittert haben, dass ich gehängt werden sollte, falls, Zitat: ›sich ein Baum finden lässt, der das Gewicht der fetten Nutte aushält‹«, schildert die schwarze Labour-Politikerin Diane Abbott ihre Erfahrungen. Bedroht werden auch Minister. Nach einer der letzten Brexit-Abstimmungen im Unterhaus konnten die Kabinettsmitglieder nur unter Polizeischutz das Parlament verlassen. Dazu äußerte sich Lindsay Hoyle, der neue Parlamentspräsident, schon vor mehreren Monaten äußerst besorgt: »Es ist das Ausmaß der Bedrohung, das wir so bisher nicht kannten.« Wenn Abgeordnete sich nicht mehr sicher fühlen, laufe das Land Gefahr, »die Demokratie in diesem Land zu verlieren«.

Der bisherige stellvertretende Parlamentspräsidenten Hoyle wurde am Montagabend zum neuen »Speaker« gewählt. Der 62-Jährige setzte sich in der vierten Wahlrunde gegen seinen Konkurrenten Chris Bryant durch. Hoyle tritt die Nachfolge von John Bercow an, der nach zehn Jahren als Parlamentspräsident zurückgetreten war. Agenturen/nd

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