Leider kein bisschen revolutionär

Die LINKE bespricht Ursachen ihrer Wahlniederlage und hat noch lange keine Analyse fertig

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.

Mehr als zwei Monate ist es jetzt her, dass die brandenburgische LINKE bei der Landtagswahl eine herbe Niederlage erlitt - und noch immer liegt keine Analyse der Ursachen vor. »Unglaublich.« Justizstaatssekretär Ronald Pienkny schüttelt verständnislos den Kopf.

Am 1. September stürzte seine Partei auf 10,7 Prozent ab. Bei der Landtagswahl 2014 war die LINKE bereits von 27,2 auf 18,6 Prozent abgesackt und nun noch so eine Schlappe. Bereits 2014 vermisste Pienkny eine fundierte Ursachenanalyse. Stattdessen hatte sich die LINKE in die Fortsetzung der rot-roten Koalition gestürzt und darüber eine Fehlerdiskussion vergessen. Der scheidende Staatssekretär - eine neue Koalition aus SPD, CDU und Grünen bahnt sich an - steht mit seiner Kritik nicht allein am Dienstagabend bei einer Regionalkonferenz der Linkspartei in der Friedrich-Wilhelm-von-Steuben-Gesamtschule in Potsdam. 66 Genossen sind kurz nach 17 Uhr dort, weitere stoßen später dazu. Sie kommen aus den Kreisverbänden im südwestlichen Teil Brandenburgs.

Es ist eine von vielen Veranstaltungen dieser Art. Fast täglich ist die Landesvorsitzende Anja Mayer bei Basisorganisationen, Kreisverbänden oder anderen Gliederungen. Auch Landesgeschäftsführer Stefan Wollenberg, Schatzmeister Ronny Kretschmer und andere haben solche Termine. Der Landesvorstand nimmt sich Zeit für eine gründliche Ursachenforschung, sehr viel Zeit. Selbst beim Parteitag am 14. Dezember soll es nur einen Zwischenstand geben, eine schriftliche Ausarbeitung dann erst zum Parteitag am 25. und 26. April, wenn der neue Landesvorstand gewählt wird. Mayer möchte nichts vorsetzen, sondern die notwendigen Schlussfolgerungen aus der Niederlage ohne Hast mit allen gemeinsam ziehen, die daran Interesse haben.

Etlichen Genossen dauert das viel zu lange. Sie haben Fragen und wollen Antworten: Sind wir überhaupt noch eine sozialistische Partei und nicht vielmehr nur eine linkssozialdemokratische? Muss es nicht personelle Konsequenzen geben? Wie wird die LINKE als Friedenspartei sichtbar? Wie schafften es die Genossen in Berlin, sich nach Abwahl des rot-roten Senats nach nur fünf Jahren in der Opposition so weit zu erholen, dass sie 2016 wieder gestärkt und für die Bürger glaubwürdig in eine rot-rot-grüne Koalition eintreten konnten? Wie wirkten sich die Querelen in der Bundespartei auf Brandenburg aus und wie kann das abgestellt werden?

»Im ganzen Land werden Papiere geschrieben, und das sind nicht wenige«, berichtet Parteichefin Mayer. »Ich habe einen ganzen Ordner voll damit.« Damit deutet sie an, dass die Aufarbeitung der Wahlniederlage in vollem Gange ist. Aber die Ansage sorgt für zusätzlichen Frust. Der Vorwurf: Wenn es einen solchen Ordner gibt, warum wird dann keine Zusammenfassung zur Verfügung gestellt.

Jeder hat mindestens eine Idee, was schief gelaufen ist. Auch Mayer könnte dazu seitenweise Stichpunkte notieren, wie sie sagt. Doch einige auf der Hand liegende Erklärungsversuche haben bei genauem Hinsehen einen Haken. Bestes Beispiel: Die LINKE habe sich als Regierungspartei schlecht verkauft. Da ist sicher etwas dran. Aber warum verlor die LINKE bei der zeitgleichen Landtagswahl in Sachsen ungefähr genauso viel, sogar noch ein bisschen mehr als in Brandenburg, obwohl die Partei in Sachsen Opposition gewesen ist?

Streit gibt es in der Steuben-Schule zunächst auch darum, ob einige grundsätzliche Dinge nicht »vor versammelter Mannschaft« angesprochen werden müssen, bevor man sich auf drei Arbeitsgruppen verteilt. In den Gruppen kommen mehr Leute zu Wort, lautet ein Argument. Keinesfalls solle Kritik abgewürgt werden. Tatsächlich kann dann in den Arbeitsgruppen jeder seine Meinung sagen. Es geht um Wahrnehmung und Struktur der Partei und darum, welche Themen die LINKE ansprechen müsste, um wieder Erfolg zu haben.

Ein älterer Genosse beklagt »zu große politische Fantasielosigkeit«. Ein jüngerer suchte im Wahlkampf auf der Internetseite des Landesverbandes vergeblich nach einer Regierungsbilanz zu Schulungszwecken. Kein Wunder, wenn Aktive am Infostand nicht zu sagen wussten, was den Unterschied macht, wenn die LINKE regiert, was der Bürger davon hat. Der Ex-Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Scharfenberg warnt, die Partei sei aufgrund ihrer Geschichte eine ganz besondere, aber sie dürfe kein Selbstzweck sein. »Sonst können wir uns selbst abschreiben.« Wenn es nicht gelinge, die Alten und die Jungen in in Übereinstimmung zu bringen, kämpfe man in fünf Jahren um die Fünf-Prozent-Hürde. »Wir haben uns hier öffentlich zerfleischt«, bedauert Scharfenberg. Er nennt die Diskussion um das umstrittene Polizeigesetz. Dabei habe die LINKE die Online-Durchsuchung verhindert, die in Thüringen vom Polizeigesetz gedeckt sei. Aber dort habe Ministerpräsident Bodo Ramelow (LINKE) bei der Landtagswahl trotzdem gerade 31 Prozent eingefahren, gibt Scharfenberg zu bedenken. Sein Fachgebiet im Landtag war die Innenpolitik.

»Wir diskutieren intensiv Themen, für die sich die Bürger nicht interessieren«, stellt Landesgeschäftsführer Wollenberg fest. Und wenn die LINKE am richtigen Thema dran sei, etwa am Pflegenotstand, dann schaffe sie es nicht, bei den Bürgern als die Partei mit dem besten Konzept angesehen zu werden - obwohl die Lösungsvorschläge gut seien.

Unzufriedenheit über Wahlplakate mit beliebig wirkenden Motiven wird laut. »Ich hätte im Wahlkampf gern eine Million Euro mehr ausgegeben. Aber ich glaube, es hätte uns nichts genützt«, meint dazu ernüchtert Schatzmeister Kretschmer.

Nicht zu übersehen: In der Zeit ihrer größten Erfolge um das Jahr 2004 herum hatten die Sozialisten in Brandenburg rund 10 000 Mitglieder. Jetzt sind es bloß noch 5800, von denen knapp die Hälfte schon älter als 70 Jahre ist. Die Misere auf dem platten Land beschreibt ein Genosse vom Regionalverband Süd in Teltow-Fläming eindrücklich. Die Ebene der Basisorganisation sei dort aufgegeben, weil es sich nicht mehr lohne. 30 Prozent der Fläche des Landkreises decke der Regionalverband ab, zähle aber »wahnsinnig wenige Mitglieder«. Der Mann fragt: »Wie sollen wir wahrgenommen werden, wenn wir gar nicht da sind?«

Warum die Jugend nicht zur Partei stößt? Die LINKE müsste andere Wege gehen als andere Parteien, doch sie sei leider kein bisschen revolutionär, denkt eine Genossin. »Darum bleiben die jungen Leute weg. Die wollen doch etwas verändern, etwas anders machen. Wenn nicht, dann können sie ja zur SPD gehen.« Stichwort revolutionär: Will man wirklich 40 Prozent anstreben oder lieber weniger Stimmen erhalten, aber dafür von Wählern, die mit der Partei inhaltlich übereinstimmen?

Überlegt wird, ob die LINKE notwendige Kompromisse in der Politik besser erklären muss oder ob es nicht gerade die Kompromisse waren, »die uns an den Abgrund gebracht haben«, wie die Potsdamer Kreisvorsitzende Martina Trauth formuliert. Sie fordert, sich auf den Markenkern der Partei zu besinnen und daran dann keine Abstriche mehr zu machen.

Die nächsten Regionalkonferenzen gibt es am 8. November um 17 Uhr in der Sonnengrundschule von Fürstenwalde und am 9. November um 10 Uhr im Steinitzhof von Drebkau.

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