- Kommentare
- Berlin
Die Freiheit, zu demonstrieren
Der 9. November ist vorbei. Erleichterung will sich trotzdem nicht einstellen
Der diesjährige 9. November ist vorbei. Der Mauerfalljubel klingt ab, zum ersten Mal waren zu einem runden Jubiläum des 9. Novembers 1989 einige leise Zwischentöne zu verzeichnen. Das hängt mit einer politischen Entwicklung zusammen, die wiederum mit dem viel deutscheren 9. November zu tun hat, nämlich dem des Jahres 1938. Wie vor über 80 Jahren berufen sich Tausende Mitglieder und Anhänger extrem rechter Organisationen und ihres parlamentarischen Arms, der AfD, auf einen »Volkszorn« gegen »Volksverräter«, die für einen »drohenden Volkstod« verantwortlich gemacht werden. Bald ein Viertel der Wählerstimmen gingen in den letzten Monaten in drei deutschen Bundesländern an eine extrem rechte Partei. In deren Mitte geben sich verurteilte extrem rechte Brandstifter, Totschläger, Gewalttäter sowie ihre faschistischen Ideologen Fantasien hin, in denen sie mittels politischer Macht auf der Straße für die Wiederherstellung einer Ordnung sorgen werden, die sich scheinbar an den Vorstellungen orientiert, die SA- und SS-Truppen vor 81 Jahren in ihren Gewaltorgien in die Tat umsetzten. Und so wie damals gibt es auch heute zu dem bekennenden Viertel eine unscharfe zustimmende Menge.
Auf dem Höhepunkt der Novemberpogrome, in der Nacht vom 9. auf den 10. November, wurden 1400 Synagogen, Betstuben, Versammlungsräume sowie Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe zerstört. Ab dem 10. November wurden ungefähr 30 000 Juden in Konzentrationslagern inhaftiert, wo mindestens weitere 400 unmittelbar ermordet wurden - die systematische Vernichtung und Verfolgung hatte begonnen.
Wenn es am 9. November etwas zu feiern gibt, dann doch die Freiheit, auf die Straße gehen zu können und zu rufen: »Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!«
Der 9. November ist vorbei. Erleichterung will sich trotzdem nicht einstellen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.