- Politik
- Jeanine Añez
Oppositionelle Senatorin erklärt sich zu Boliviens Präsidentin
Morales verurteilt den Vorgang von Mexiko aus als »Putsch«
La Paz. Nach dem Rücktritt von Boliviens Staatschef Evo Morales hat sich die Senatorin Jeanine Añez zur Interimspräsidentin des südamerikanischen Landes erklärt. »Ich werde alle nötigen Maßnahmen ergreifen, um das Land zu befrieden«, sagte sie am Dienstagabend (Ortszeit). Mit einer Bibel in der Hand zog sie gemeinsam mit Unterstützern zum früheren Regierungsgebäude Palacio Quemado und erklärte: »Wir wollen in Demokratie, Freiheit und Frieden leben.«
Zuvor waren zwei Versuche des Senats und der Abgeordnetenkammer gescheitert, eine Beschlussfähigkeit festzustellen, da die Parlamentarier von Morales MAS-Partei die Sitzung boykottierten. Das Verfassungsgericht erklärte die Machtübernahme von Añez allerdings trotzdem für zulässig.
Die Anwältin sitzt seit 2010 für das Department Beni im Senat. Weil neben Morales auch der Vizepräsident, die Präsidentin des Senats und der Präsident der Abgeordnetenkammer zurückgetreten waren, rückte die zweite Vizepräsidentin des Senats an die Regierungsspitze. Die 52-Jährige muss nun innerhalb von 90 Tagen eine Neuwahl organisieren.
Lesen Sie unsere Bolivien-Debatte: »Loslassen lernen« von Katharina Schwirkus und »Niederlage für die Linke« von Christian Klemm.
Aus dem mexikanischen Exil verurteilte Morales die jüngsten Ereignisse in La Paz. »Das war der listigste und gefährlichste Staatsstreich der Geschichte. Eine rechte Putschistin ernennt sich selbst zur Präsidentin des Senats und dann zur Interimspräsidentin Boliviens ohne das nötige Quorum, umgeben von Komplizen und Polizisten und Soldaten, die das Volk unterdrücken«, schrieb der Ex-Präsident auf Twitter.
Nach massiven Protesten und auf Druck des Militärs war Morales am Sonntag nur drei Wochen nach seiner umstrittenen Wiederwahl zurückgetreten. Der Sozialist hatte sich nach den Präsidentschaftswahlen am 20. Oktober zum Sieger in der ersten Runde erklärt, obwohl die Opposition und internationale Beobachter erhebliche Zweifel angemeldet und ihm Wahlbetrug vorgeworfen hatten. Nachdem die Organisation Amerikanischer Staaten diese Zweifel am letzten Sonntag bekräftigte, erklärte Morales seinen Rücktritt. Im Zuge der anhaltenden und gewalttätigen Proteste ging er Montag ins Exil nach Mexiko.
Aufgebrachte Anhänger von Morales ziehen seither durch die Straßen des Regierungssitzes La Paz und fordern eine Rückkehr ihres politischen Anführers. Polizisten und Soldaten riegelten das Zentrum ab. Flugzeuge der Luftwaffe flogen über die Stadt hinweg.
Der bei den jüngsten Wahlen unterlegene Präsidentschaftskandidat Carlos Mesa stellte sich hinter die Übergangsstaatschefin. »Ich gratuliere der neuen verfassungsmäßigen Präsidentin Boliviens, Jeanine Añez«, schrieb er auf Twitter. »Ich wünsche ihr viel Erfolg bei den Herausforderungen, die auf sie warten. Es lebe das Vaterland.«
Als erster indigener Präsident hatte Morales dem Armenhaus Südamerikas eine lange Zeit der politischen Stabilität und der wirtschaftlichen Entwicklung beschert. In seinen fast 14 Jahren an der Regierungsspitze sorgte er dafür, dass die satten Gewinne aus der Gas- und Lithium-Förderung größtenteils im Land blieben und auch der indigenen Bevölkerungsmehrheit zugute kamen.
Sein Traum war es, bis zur 200-Jahr-Feier der Unabhängigkeit 2025 im Amt zu bleiben. Deswegen stellte er sich der frühere Koka-Bauer aus einfachsten Verhältnissen im Oktober zum dritten Mal zur Wiederwahl, obwohl die Verfassung höchstens eine Wiederwahl vorsieht. Morales überwand diese Hürde mit Hilfe der ihm gewogenen Justiz, die die Begrenzung der Amtszeiten als Verletzung seiner Menschenrechte bezeichnete. dpa/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.